Skar wunderte sich, daß er noch die Kraft fand, sich herumzudrehen und die paar Schritte bis zu seinem Pferd hinüberzuwanken. Der Boden erschien ihm mit einem Mal besonders locker und nachgiebig, trockener Sumpf statt Sand, in den er bei jedem Schritt bis zu den Knöcheln einsank, als hätte sich nun auch noch dieser Teil der Natur gegen ihn verschworen und versuche mit aller Macht, ihn nicht von der Stelle kommen zu lassen. Dieses Tal war ihr Grab. Er war tot, ohne es selbst zu wissen, und Tote haben kein Recht, in ihren Gräbern herumzulaufen. Er schleppte sich mühsam zu seinem Tier, stützte sich schwer auf den Sattel und bettete für Sekunden den Kopf in der Armbeuge. Die Sonne brannte heiß und unbarmherzig auf ihn herunter. Ihre Strahlen badeten seinen verbrannten Rücken in trügerischer Wärme und ließen ein Gefühl des Wohlbefindens in ihm emporsteigen; Müdigkeit von einer ganz anderen Art, als er sie bisher gekannt hatte. Er hatte nie geglaubt, daß das Sterben so leicht sein sollte in den letzten Augenblicken. Aber er erkannte plötzlich, daß es stimmte.
Es war nicht nur leicht, es war schön.
Schließlich, nach einer Ewigkeit, hob er den Kopf und tastete blind nach dem Zaumzeug. Mit hängenden Schritten führte er das Tier zu Del hinüber. Seine Finger waren steif und ungelenk, erst beim dritten Versuch gelang es ihm, den schmalen Zierdolch aus der Sattelscheide zu ziehen. Er schnitt sich an der rasiermesserscharfen Klinge, aber der Schmerz erschien ihm seltsam fremd und irreal und vermochte den Schleier aus Wärme und Müdigkeit und gedämpften Farben, in den sich sein Bewußtsein gehüllt hatte, nicht zu durchdringen. Skar tätschelte liebevoll den Hals seines Tieres. Das Pferd wandte müde den Kopf und sah ihn aus entzündeten, grindigen Augen an. In seinem Blick schien fast so etwas wie Vorwurf zu liegen.
Er wich dem Blick der dunklen Augen aus und berührte sanft die Kniekehlen des Ponys. Gehorsam legte es sich neben Del in den Sand.
Skar schloß die Augen, zählte in Gedanken langsam bis zehn und stieß dann mit aller Kraft zu.
Das Pferd gab nicht einmal einen Laut von sich. Es bäumte sich auf, zuckte zwei-, dreimal mit den Hinterläufen und erschlaffte dann. Der Tod mußte eine Erlösung gewesen sein. Jedenfalls versuchte Skar sich das einzureden.
Skar zog den Dolch zurück, preßte mit der Linken die Wundränder zusammen und unterdrückte den übermächtigen Wunsch, das Gesicht in das hervorsprudelnde Blut zu tauchen und zu trinken, trinken, trinken. Stöhnend beugte er sich zu Del hinüber, griff nach dessen Gürtel und zerrte ihn unter Aufbietung aller Kräfte zu sich heran. Der reglose Körper des jungen Satai schien Zentner zu wiegen.
Del erwachte, als das warme Blut sein Gesicht benetzte. Seine Lider flatterten. Er stöhnte, drehte den Kopf und riß gierig den Mund auf, um den warmen, pulsierenden Strom aufzufangen. Ekel wallte in Skar empor, aber der wurde begleitet von dem immer stärker werdenden Verlangen, es Del gleichzutun. Dels Gesicht verwandelte sich in eine rote, glitzernde Todesmaske, die gierig nach dem pulsierenden, klebrigen Blut schnappte und blubbernde und gurgelnde Geräusche von sich gab.
Skar wandte sich angeekelt ab. Automatisch wollte er seine Hand am Wams abstreifen, überlegte es sich dann aber anders und führte die Finger behutsam zum Mund.
Es schmeckte warm, salzig und auf sonderbare Art nicht einmal unangenehm. Nach Leben.
Zögern leckte er sich die Finger ab, langsam und voller Bedacht, um ja nichts von der kostbaren Flüssigkeit zu verschenken und keinen Tropfen zu übersehen, tauchte die Hand dann erneut in den pulsierenden Blutstrom und führte sie wieder zum Mund.
Dann stürzte er sich mit einem krächzenden Schrei hinab und schnappte mit weit geöffneten Lippen nach dem hervorsprudelnden Lebenssaft des Pferdes. Eine Berührung weckte ihn; etwas wie das Kitzeln tastender, samtweicher Pfoten auf seiner Brust. Für die Dauer eines Herzschlages bildete er sich ein, ein leises Schnurren zu hören, ein Geräusch, das ihn an den Laut einer zufriedenen Katze erinnerte, dann ein Rascheln und Schaben, als schleiche irgendwo in seiner Nähe etwas Großes, Kräftiges und doch ungemein Elegantes herum.
Skars Hand tastete instinktiv nach dem Schwertgriff. Die Berührung des kalten, glatten Metalls beruhigte ihn ein wenig, aber seine Nerven blieben trotzdem angespannt. Vorsichtig, wohl wissend, daß selbst ein zu rasches Öffnen der Augen ein herumschleichendes Raubtier zum Angriff reizen konnte, hob er die Lider. Aber da war nichts.