Sie spürte, wie sich das Ungeheuer vor ihr aufbäumte, seinen entsetzlichen Leib vielleicht zum erstenmal seit einem Jahrtausend bewegte, in einer grauenerregenden, entsetzten Bewegung zurückprallte, als es begriff, was Tally mit sich brachte. Und sie spürte, wie irgend etwas in ihr barst, ein Kokon, unsichtbar und lauernd bisher, finsterpulsierende Energien, die sie unbemerkt in sich gehabt hatte, wie die Trägerin einer tödlichen Krankheit. Und im gleichen Moment, noch immer im selben, zeitlosen Augenblick, begriff sie.
Es war dieses...
Aber sie hatte Tally nicht gesagt, wer diese Überlebenden gewesen waren.
Sie waren keine Menschen gewesen.
Es waren die Insekten.
Hornköpfe. Schwarze chitingepanzerte Ungeheuer, die den Weltuntergang tief verborgen im Inneren der Erde überstanden hatten und hervorkrochen, lange bevor der erste Mensch es wagte, seinen Schutz zu verlassen. Mutierte Bestien, vielleicht durch die entfesselten Urgewalten menschlicher Waffen zu dem geworden, was sie jetzt waren, die antraten, den uralten Kampf um die Vorherrschaft auf dieser Welt zu entscheiden. Und sie hatten ihn entschieden.
Bestien wie diese waren es, die den Befehl zur Vernichtung jeglichen menschlichen Fortschrittes gegeben hatten und ihn weiter geben würden. Die wahren Herrscher der Welt waren nicht die Menschen, nicht Jandhis Drachenreiterinnen und ihre fliegenden Giganten, sondern die Hornköpfe sein, ein riesiges Heer stumpfsinniger Kreaturen, das zusammen ein einziges, ungeheuerliches Bewußtsein bildete, vielleicht diese ganze Welt umspannend.
Tally krümmte sich, als all dieses Wissen über sie hereinbrach, mit der Gewalt einer Sturzflut und gesprochen von der Stimme eines Gottes. Der Stimme Gäas, des zweiten, ungeheuerlichen Monstrums, das draußen unter dem Schlund lag und wartete, so alt wie diese Welt, tausendmal älter als der Mensch und vom ersten Tag an der Erzfeind der Insekten. Sie schrie, als sie begriff, daß sie zum Spielball einer anderen, ebenso erbarmungslosen Macht geworden war, eine Waffe wie Jandhi und ihre Drachen, nur viel tödlicher. Vielleicht war es von Anfang an so geplant. Vielleicht war nichts Zufall gewesen, von allem, was geschehen war.
Das Ungeheuer hinter ihr begann zu toben. Die Höhle bebte, als es sich aufbäumte, zuckend, schreiend, schwarzen Schleim und Blut und Kot verspritzend wie ein lebender Geysir, während ihr aufgedunsener Hinterleib noch immer Eier ausspie, unfähig seit zehntausend Jahren, damit aufzuhören; eine boshafte Karikatur des Lebens, die nur noch zu zwei Dingen fähig war: Denken und Gebären. Eines der baumdicken Beine zerbrach wie Glas. Das Ungeheuer brüllte, neigte sich zur Seite und stürzte, kreischend vor Schmerz und Angst, als es begriff, was Tally war.
Und dann, für einen ganz kurzen Moment, fand sie noch einmal in die Wirklichkeit zurück. Das unsichtbare Etwas in ihr zog sich zurück, entließ ihren Geist noch einmal aus seinem Würgegriff, als es Kraft zum letzten, entscheidenden Hieb sammelte. Für Sekunden fand Tally die Kontrolle über ihren Körper zurück.
Taumelnd bewegte sie sich auf Jandhi zu, streckte die Hände nach ihr aus und fiel, als ihre Kräfte versiegten. Die beiden Hornköpfe neben ihr pfiffen vor Angst, begannen zu toben, wie außer Kontrolle geratene schreckliche Maschinen, als die Angst der Insektenkönigin in ihre Köpfe kroch, und auch Jandhi schrie auf, prallte gegen die Wand und schlug beide Hände gegen die Schläfen. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie Tally anstarrte.