Die Höhle verwandelte sich in ein Chaos. Der Teppich aus lebenden Insekten zerbarst, als wären tausend Vulkane unter dem Boden ausgebrochen. Die Insektenkönigin schrie, bäumte sich abermals auf und fiel hilflos zurück, Tausende ihrer Diener unter sich zermalmend. Etwas Schwarzes, ungeheuer Großes wogte auf sie zu.
»Jandhi!« schrie Tally. »Lauf! Flieh! Nimm deine Drachen und flieh!«
Ihre Stimme ging im Kreischen der Insektenkönigin unter. Aber selbst, wenn Jandhi die Worte verstanden hätte, hätte sie kaum mehr darauf reagiert. Für den Bruchteil einer Sekunde war ihr Geist frei gewesen, und vielleicht hatte sie sogar begriffen, daß sie und die anderen nichts als Werkzeuge gewesen waren, willenlose Spielzeuge dieser schwarzen Abscheulichkeit, deren Gedanken ihren Willen und ihren Geist beherrschten. Aber der Augenblick verging, und Tally konnte sehen, wie der Funke von freiem Willen in ihrem Blick wieder erlosch. Ihre Hand kroch zum Gürtel und dem Laser, den sie darin trug.
Im gleichen Moment hörten auch die beiden Hornköpfe auf zu toben. Ihre gepanzerten Hände hoben sich. Tally sprang. Eine Klaue streifte ihren Rücken und riß ihn auf, eine andere grub sich in ihre Wade und biß ein Stück Fleisch heraus. Aber irgend etwas in ihr gab ihr Kraft, schaltete den Schmerz ab, übernahm das Kommando über ihren Willen. Ihre Hand schoß vor und schlug die Jandhis beiseite, einen Sekundenbruchteil, ehe sie gegen sie prallte und aus dem Gleichgewicht brachte. Jandhi schrie auf, taumelte gegen die Wand und schlug nach Tallys Gesicht.
Und das Ungeheuer in ihr erwachte erneut – und diesmal endgültig.
Es war nicht mehr Tally, die auf Jandhi zusprang und ihr mit einem einzigen Hieb wie eine zerbrochene Puppe zur Seite schleuderte. Sie war endgültig zu dem geworden, wozu Gäa sie ausersehen hatte, vielleicht schon vor ihrer Geburt: einer Waffe. Einem Spielball im ewigen Kampf der beiden Giganten, der zwischen ihnen zermalmt werden mußte.
Sie fing die Stürzende auf und riß den Laser aus ihrem Gürtel. Sie feuerte die Waffe ab, noch ehe sie Jandhi losließ. Der dünne, weiße Blitz schwenkte herum wie ein Schwert aus Licht, zerschnitt die beiden Hornköpfe säuberlich in zwei Teile und wanderte weiter, brannte eine rotglühende Schlackespur in den Boden und die Masse aus Millionen von Insekten, die auf Tally zuflutete, und näherte sich der Königin.
Das Rieseninsekt bäumte sich in irrsinniger Qual auf, als der Lichtblitz in sein rechtes Auge stach und es in einen Tümpel aus kochendem Fleisch und Blut verwandelte. Der Strahl tastete weiter, ließ auch das andere Auge erlöschen und sengte eine handbreite, rotglühende Spur in den Schädel, weiter über den Nacken und den absurd kleinen, dreifach untergliederten Leib, zerschnitt die beiden noch unversehrten Insektenbeine auf der Tally zugewandten Seite und näherte sich dem aufgequollenen Hinterleib des Ungeheuers, der noch immer Eier ausspie.
Dann hatte der lebende Teppich Tally erreicht und überflutete sie. Der Laser in ihrer Hand erlosch, als ihre Beine nachgaben und sie fiel.
Sie starb, und sie starb schnell, aber in der endlosen Sekunde, die sie noch lebte, sah sie, wie das Heer der Insekten an ihren Beinen emporkroch, schnell wie eine Springflut aus schwarzem Wasser, Fleisch und Knochen zermalmend mit Millionen winziger rasiermesserscharfer Kiefer. Sie sah, wie sich ihr Körper auflöste, zu rotem pulsierendem Schmerz wurde und verschwand, während die entsetzliche Flut höher kroch. Der Schmerz war unbeschreiblich, aber er dauerte nicht lange, und irgend etwas in ihr schützte sie auch davor; oder ließ ihn wenigstens unwichtig werden. Denn sie sah auch das, was sie gebracht hatte, den Keim der Vernichtung, der tief in ihr schlummerte, und der zu Ende bringen würde, was sie begonnen hatte.
Sie war tot, ehe sie nach vorne fiel und in der wirbelnden Masse aus Beinen und Kiefern und winzigen harten Leibern versank.
Aber ihr letzter Gedanke war, daß sie ihre Rache vollzogen hatte.
Und eigentlich hatte sie gerade erst damit begonnen.
8
Da waren Geräusche. Sonderbare Laute, die aus einer fremden Welt zu stammen schienen, die keinen Bezug zu der ihren hatte: ein Kratzen und Schaben und Scharren an der Tür, dann etwas wie eine Stimme, die etwas wie Worte produzierte, ohne daß sie sie verstand.