Читаем Die Vermessung der Welt полностью

Von da an verließ er die Wohnung nicht mehr. Die Tage wurden zu Abenden, die Abende zu Nächten, die sich in den frühen Stunden mit blassem Licht vollsogen, bis wieder ein Tag begann, als wäre das selbstverständlich. Aber das war es nicht, sterben ließ sich schnell, er mußte sich beeilen. Manchmal kam Bartels und brachte Essen. Manchmal kam seine Mutter. Sie strich ihm über den Kopf, sah ihn mit vor Liebe verschwommenem Blick an und wurde rot vor Freude, wenn er sie auf die Wange küßte. Dann tauchte Zimmermann auf, fragte, ob er Hilfe bei der Arbeit brauche, begegnete seinem Blick und ging verlegen brummend seiner Wege. Briefe von Kästner, Lichtenberg, Büttner und dem Sekretär des Herzogs trafen ein, er las keinen davon. Zweimal hatte er Durchfall, dreimal Zahnweh und eines Nachts so heftige Koliken, daß er meinte, nun sei es soweit, Gott gestatte es nicht, das Ende sei hier. In einer anderen Nacht kamen ihm plötzlich die Wissenschaft, seine Arbeit, sein gesamtes Leben fremd und überflüssig vor, weil er keinen Freund harte und außer seiner Mutter niemanden, dem er etwas bedeutete. Aber auch das ging, wie alles, vorüber.

Und eines regnerischen Tages war er fertig. Er legte die Feder weg, schneuzte sich umständlich und rieb sich die Stirn. Schon rückten ihm die Erinnerungen an die letzten Monate, all die Kämpfe, Entscheidungen und Überlegungen, in die Ferne. Das alles hatte jemand erlebt, der er seit wenigen Momenten nicht mehr war. Vor ihm lag das Manuskript, das der andere zurückgelassen hatte, Hunderte eng beschriebener Seiten. Er blätterte darin und fragte sich, wie er das hatte leisten können. Er konnte sich an keine Inspiration, keine Erleuchtungen erinnern. Nur an Arbeit.

Für die Kosten des Drucks mußte er sich Geld von Bartels ausleihen, der selbst fast nichts besaß. Dann gab es Schwierigkeiten, als er die gesetzten Blätter noch einmal Korrektur lesen wollte; der Dummkopf von Buchhändler begriff einfach nicht, daß keiner sonst dazu in der Lage war. Zimmermann schrieb an den Herzog, der rückte noch etwas Geld heraus, und die Disquisitiones Arithmeticae konnten erscheinen. Er war Anfang Zwanzig, und sein Lebenswerk war getan. Er wußte: Wie lange er auch noch da sein würde, er könnte nichts Vergleichbares mehr zustande bringen.

In einem Brief hielt er um Johannas Hand an und wurde abgewiesen. Es habe nichts mit ihm zu tun, schrieb sie, bloß bezweifle sie, daß die Existenz an seiner Seite einem zuträglich sein könne. Sie habe den Verdacht, daß er Leben und Kraft aus den Menschen seiner Umgebung ziehe wie die Erde von der Sonne und das Meer aus den Flüssen, daß man in seiner Nähe zur Bläs-se und Halbwirklichkeit eines Gespensterdaseins verurteilt sei.

Er nickte. Er hatte genau diese Entscheidung, wenn auch keine so gute Begründung erwartet. Jetzt fehlte nur mehr eines.

Die Reise war fürchterlich. Seine Mutter weinte beim Abschied, als wollte er nach China, und dann, obwohl er sich fest vorgenommen hatte, es nicht zu tun, weinte auch er. Die Kutsche setzte sich in Bewegung, und zu Beginn war sie voll übelriechender Leute, eine Frau aß rohe Eier mitsamt der Schale, ein Mann machte, ohne Atem zu holen, Witze, die gotteslästerlich und trotzdem nicht komisch waren. Gauß versuchte, das alles zu übersehen, indem er in der neuesten Ausgabe der Monatlichen Korrespondenz zur Beförderung von Erd-und Himmelskunde las. Im Teleskop des Astronomen Piazzi war für ein paar Nächte ein Geisterplanet aufgetaucht und, bevor man seine Bahn hatte bestimmen können, wieder verschwunden. Vielleicht ein Irrtum, vielleicht aber auch ein Wandelstern zwischen den inneren und äußeren Planeten. Doch schon bald mußte Gauß die Zeitschrift weglegen, weil die Sonne unterging, die Kutsche zu sehr schwankte und ihm die eierfressende Frau über die Schulter lugte. Er schloß die Augen. Eine Weile sah er marschierende Soldaten, dann ein von Magnetlinien durchzogenes Firmament, dann Johanna, dann wachte er auf. Es regnete aus trübem Morgenhimmel, aber die Nacht war noch nicht vorbei. Daß weitere Tage und weitere Nächte kommen würden, jeweils elf und zweiundzwanzig insgesamt, war kaum vorstellbar. Wie schrecklich das Reisen war!

Als er in Königsberg ankam, war er vor Müdigkeit, Rückenschmerz und Langeweile fast besinnungslos. Für einen Gasthof hatte er kein Geld, also ging er gleich zur Universität und ließ sich von einem dumpf blickenden Pedell den Weg beschreiben. Wie alle hier sprach der Mann einen wunderlichen Dialekt, die Straßen sahen fremd aus, die Geschäfte hatten unverständliche Schilder, und das Essen aus den Schenken roch nicht wie Essen. Noch nie war er so weit von daheim gewesen.

Endlich hatte er die Adresse gefunden. Er klopfte, nach langem Warten öffnete ihm ein durch und durch staubiger alter Mann und sagte, noch bevor Gauß sich vorstellen konnte, der gnädige Herr empfange nicht.

Gauß versuchte zu erklären, wer er war und woher er kam.

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