Читаем Die Vermessung der Welt полностью

Doch bald wurde ihm klar, daß es schneller gehen würde. Nachdem er einmal begonnen hatte, drangen die Ideen mit ungekannter Wucht an. Er schlief wenig, besuchte die Universität nicht mehr, aß nur das Nötigste und fuhr selten zu seiner Mutter. Wenn er halblaut redend durch die Straßen ging, fühlte er sich wacher denn je. Ohne hinzusehen, wich er den Leuten aus, nie stolperte er, einmal sprang er grundlos zur Seite und war nicht einmal überrascht, als in derselben Sekunde neben ihm ein Dachziegel zerschellte. Die Zahlen entführten einen nicht aus der Wirklichkeit, sie brachten sie näher heran, machten sie klarer und deutlich wie nie.

Die Zahlen begleiteten ihn jetzt immer. Er vergaß sie nicht einmal, wenn er die Huren besuchte. Es gab nicht viele in Göttingen, sie kannten ihn alle, grüßten ihn mit Namen und gaben ihm manchmal Rabatt, weil er jung war, gut aussah und Manieren hatte. Die ihm am besten gefiel, hieß Nina und stammte aus einer fernen sibirischen Stadt. Sie wohnte im alten Accouchierhaus, hatte dunkle Haare, tiefe Grübchen auf den Wangen und breite, nach Erde duftende Schultern; in den Augenblicken, wenn er sie umfaßte, den Blick zur Decke wandte und ihr Schaukeln auf sich spürte, versprach er ihr, sie zu heiraten und ihre Sprache zu lernen. Sie lachte über ihn, und wenn er schwor, daß er es ernst meine, antwortete sie nur, er sei eben noch sehr jung.

Seine Doktoratsprüfung fand unter Aufsicht von Professor Pfaff statt. Auf sein gekritzeltes Ansuchen hin erließ man ihm das mündliche Examen, es wäre auch zu lächerlich gewesen. Als er seine Urkunde abholte, muß- te er auf dem Gang warten. Er aß ein Stück trockenen Kuchen und las in den Göttinger Gelehrten Anzeigen den Bericht eines preußischen Diplomaten über dessen Bruders Aufenthalt in Neuandalusien. Ein weißes Haus am Rand der Stadt, abends kühlte man sich im Fluß, Frauen kamen häufig zu Besuch, damit man ihre Läuse zählte. In unbestimmter Erregung blätterte er um. Nackte Indianer in der Kapuzinermission, in Höhlen lebende Vögel, die mit ihren Stimmen sahen wie andere Wesen mit dem Augenlicht. Die große Sonnenfinsternis, dann der Aufbruch zum Orinoko. Der Brief des Mannes war eineinhalb Jahre unterwegs gewesen, nur Gott mochte wissen, ob er noch lebte. Gauß senkte die Zeitung, Zimmermann und Pfaff standen vor ihm. Sie hatten nicht zu stören gewagt.

Dieser Mann, sagte er, beeindruckend! Aber unsinnig auch, als wäre die Wahrheit irgendwo und nicht hier. Oder als könnte man vor sich selbst davonlaufen.

Pfaff reichte ihm zögernd die Urkunde: Bestanden, summa cum laude. Natürlich. Man höre, sagte Zimmermann, ein großes Werk sei in Arbeit. Er freue sich, daß Gauß nun doch etwas gefunden habe, das sein Interesse fesseln und seine Melancholie vertreiben könne.

Das habe er in der Tat, sagte Gauß, und wenn es vollendet sei, werde er gehen.

Die beiden Professoren wechselten einen Blick. Aus dem Kurfürstentum Hannover? Das wolle man doch nicht hoffen.

Nein, sagte Gauß, keine Sorge. Sehr weit, aber doch nicht aus dem Kurfürstentum Hannover.

Die Arbeit ging schnell voran. Das quadratische Reziprozitätsgesetz war abgeleitet, das Rätsel der Primzahlenfrequenz seiner Auflösung näher. Die ersten drei Sektionen hatte er beendet, er war schon beim Hauptteil. Aber immer wieder legte er die Feder weg, stützte den Kopf in die Hände und fragte sich, ob das, was er tat, überhaupt erlaubt war. Drang er nicht zu tief ein? Auf dem Grund der Physik waren Regeln, auf dem Grund der Regeln Gesetze, auf deren Grund Zahlen; wenn man diese scharf ins Auge faßte, erkannte man Verwandtschaften zwischen ihnen, Abstoßungen oder Anziehung. Einiges an ihrem Gefüge schien unvollständig, seltsam flüchtig entworfen, und nicht nur einmal glaubte er, notdürftig kaschierten Fehlern zu begegnen – als hätte Gott sich Nachlässigkeiten erlaubt und gehofft, keiner würde sie bemerken.

Dann kam der Tag, an dem er kein Geld mehr hatte. Da er nicht mehr studierte, war sein Stipendium abgelaufen. Dem Herzog hatte es nie gefallen, daß er nach Göttingen gegangen war, an eine Verlängerung war nicht zu denken.

Da gebe es Abhilfe, sagte Zimmermann. Ein Gelegenheitsauftrag: Man brauche einen tüchtigen jungen Mann, der bei der Landvermessung helfe.

Gauß schüttelte den Kopf.

Es dauere nicht lange, sagte Zimmermann. Und frische Luft habe noch keinem geschadet.

Перейти на страницу:

Похожие книги

Дети мои
Дети мои

"Дети мои" – новый роман Гузель Яхиной, самой яркой дебютантки в истории российской литературы новейшего времени, лауреата премий "Большая книга" и "Ясная Поляна" за бестселлер "Зулейха открывает глаза".Поволжье, 1920–1930-е годы. Якоб Бах – российский немец, учитель в колонии Гнаденталь. Он давно отвернулся от мира, растит единственную дочь Анче на уединенном хуторе и пишет волшебные сказки, которые чудесным и трагическим образом воплощаются в реальность."В первом романе, стремительно прославившемся и через год после дебюта жившем уже в тридцати переводах и на верху мировых литературных премий, Гузель Яхина швырнула нас в Сибирь и при этом показала татарщину в себе, и в России, и, можно сказать, во всех нас. А теперь она погружает читателя в холодную волжскую воду, в волглый мох и торф, в зыбь и слизь, в Этель−Булгу−Су, и ее «мысль народная», как Волга, глубока, и она прощупывает неметчину в себе, и в России, и, можно сказать, во всех нас. В сюжете вообще-то на первом плане любовь, смерть, и история, и политика, и война, и творчество…" Елена Костюкович

Гузель Шамилевна Яхина

Проза / Современная русская и зарубежная проза / Проза прочее
Книжный вор
Книжный вор

Январь 1939 года. Германия. Страна, затаившая дыхание. Никогда еще у смерти не было столько работы. А будет еще больше.Мать везет девятилетнюю Лизель Мемингер и ее младшего брата к приемным родителям под Мюнхен, потому что их отца больше нет – его унесло дыханием чужого и странного слова «коммунист», и в глазах матери девочка видит страх перед такой же судьбой. В дороге смерть навещает мальчика и впервые замечает Лизель.Так девочка оказывается на Химмель-штрассе – Небесной улице. Кто бы ни придумал это название, у него имелось здоровое чувство юмора. Не то чтобы там была сущая преисподняя. Нет. Но и никак не рай.«Книжный вор» – недлинная история, в которой, среди прочего, говорится: об одной девочке; о разных словах; об аккордеонисте; о разных фанатичных немцах; о еврейском драчуне; и о множестве краж. Это книга о силе слов и способности книг вскармливать душу.

Маркус Зузак

Современная русская и зарубежная проза