Читаем Die Vermessung der Welt полностью

Der gnädige Herr, wiederholte der Diener, empfange nicht. Er selbst arbeite schon länger hier, als es irgend jemand für möglich halte, und er habe sich noch nie einer Anordnung widersetzt.

Gauß holte Empfehlungsbriefe von Zimmermann, Kästner, Lichtenberg und Pfaff hervor. Er bestehe darauf, daß diese Schreiben vorgelegt würden!

Der Diener antwortete nicht. Er hielt die Papiere verkehrt herum, ohne einen Bück darauf zu werfen.

Er bestehe darauf, wiederholte Gauß. Er könne sich gut vorstellen, daß viele Besucher kämen und daß man sich zu schützen habe. Aber, und das müsse er in aller Klarheit sagen, er sei nicht irgendwer.

Der Diener überlegte. Seine Lippen bewegten sich stumm, er schien nicht weiterzuwissen. Ach je, murmelte er dann, ging hinein und ließ die Tür offen.

Gauß folgte ihm zögernd durch einen kurzen und dunklen Flur in ein kleines Zimmer. Er brauchte einen Moment, bis seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten und er ein verhängtes Fenster, einen Tisch, einen Sessel und darin einen in Wolldecken gewickelten, reglosen Zwerg sehen konnte: wulstige Lippen, vorspringende Stirn, eine scharfe, dünne Nase. Die halbgeöffneten Augen wandten sich ihm nicht zu. Die Luft war so stickig, daß man kaum atmen konnte. Mit heiserer Stimme fragte er, ob das der Professor sei.

Wer sonst, sagte der Diener.

Er trat auf den Sessel zu und holte mit unsicheren Händen ein Exemplar der Disquisitiones hervor, auf dessen erste Seite er etwas von Verehrung und Dank geschrieben hatte. Er hielt dem Männchen das Buch hin, es regte keine Hand. Flüsternd bat ihn der Diener, das Buch auf den Tisch zu legen.

Mit gedämpfter Stimme erklärte er sein Anliegen. Er habe Ideen, die er noch keinem habe mitteilen können. Ihm scheine nämlich, daß der euklidische Raum eben nicht, wie es die Kritik der reinen Vernunft behaupte, die Form unserer Anschauung selbst und deshalb aller möglichen Erfahrung vorgeschrieben sei, sondern vielmehr eine Fiktion, ein schöner Traum. Die Wahrheit sei sehr unheimlich: Der Satz, daß zwei gegebene Parallelen einander niemals berührten, sei nie beweisbar gewesen, nicht durch Euklid, nicht durch jemand anderen. Aber er sei keineswegs, wie man immer gemeint habe, offensichtlich! Er, Gauß, vermute nun, daß der Satz nicht stimme. Vielleicht gebe es gar keine Parallelen. Vielleicht lasse der Raum auch zu, daß man, habe man eine Linie und einen Punkt neben ihr, unendlich viele verschiedene Parallelen durch diesen einen Punkt ziehen könne. Nur eines sei sicher: Der Raum sei faltig, gekrümmt und sehr seltsam.

Es tat gut, all das zum ersten Mal auszusprechen. Schon kamen die Worte schneller, die Sätze bildeten sich von selbst. Dies sei kein Gedankenspiel! Er behaupte etwa … Er ging auf das Fenster zu, aber ein erschrockenes Quieken des Männchens ließ ihn stehenbleiben. Er behaupte etwa, daß ein Dreieck von genügender Größe, aufgespannt zwischen drei Sternen dort draußen, bei genauer Messung eine andere Winkelsumme habe als die erwarteten hundertachtzig Grad, sich also als sphärischer Körper erweisen werde. Als er gestikulierend aufsah, bemerkte er die Spinnweben an der Decke, mehrere Schichten davon, filzig ineinandergewoben. Eines Tages würden solche Messungen durchführbar sein! Doch sei das noch lange hin, einstweilen benötige er die Meinung des einzigen, der ihn nicht für verrückt halten könne, der ihn verstehen müsse. Die Meinung des Mannes, welcher die Welt mehr über Raum und Zeit gelehrt habe als irgendein anderer. Er ging in die Hocke, so daß sein Gesicht auf gleicher Höhe mit dem des Männchens war. Er wartete. Die kleinen Augen richteten sich auf ihn.

Wurst, sagte Kant.

Bitte?

Der Lampe soll Wurst kaufen, sagte Kant. Wurst und Sterne. Soll er auch kaufen.

Gauß stand auf.

Ganz hat mich die Zivilität nicht verlassen, sagte Kant. Meine Herren! Ein Tropfen Speichel rann über sein Kinn.

Der gnädige Herr sei müde, sagte der Diener.

Gauß nickte. Der Diener berührte mit dem Handrükken Kants Wange. Das Männchen lächelte schwach. Sie gingen hinaus, der Diener verabschiedete sich mit einer wortlosen Verbeugung. Gauß hätte ihm gern etwas Geld gegeben, aber er hatte selbst nichts mehr. Von weitem hörte er den Gesang dunkler Männerstimmen. Der Gefängnischor, sagte der Diener. Der habe den gnädigen Herrn immer sehr gestött.

In der Kutsche, eingeklemmt zwischen einem Pastor und einem dicken Leutnant, der verzweifelt versuchte, Mitreisende in ein Gespräch zu ziehen, las er zum dritten Mal den Artikel über den rätselhaften Planeten. Natürlich konnte man seine Bahn berechnen! Man mußte bloß beim Näherungsverfahren von einer Ellipse statt einem Kreis ausgehen und sich dann etwas geschickter anstellen, als die Strohköpfe es getan hatten. Ein paar Tage Arbeit, dann konnte man voraussagen, wann und wo er wieder auftauchen würde. Als der Leutnant ihn nach seiner Meinung zum spanisch-französischen Bündnis fragte, wußte er nichts zu antworten.

Ob er denn nicht meine, fragte der Leutnant, das werde Österreichs Ende sein?

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