»Sehen und Sehen ist zweierlei«, erklärte ich.»Sie sollen Details sehen. Die Lackierung erstklassig, von Voll und Ruhrbeck, Selbstkosten 250 Mark – die Bereifung neu, Katalogpreis 600 Mark, macht schon 850. Die Polsterung, feinster Cord…«
Er winkte ab. Ich begann von neuem. Ich forderte ihn auf, das luxuriöse Fahrzeug zu besichtigen, das herrliche Verdeckleder, den verchromten Kühler, die modernen Stoßstangen, sechzig Mark das Paar – wie ein Kind zur Mutter strebte ich zu dem Cadillac zurück und versuchte Blumenthal zu überreden, herunterzukommen. Ich wußte, daß mir, wie Antäus, neue Kräfte auf der Erde wachsen würden. Preise verlieren viel von ihrem abstrakten Schrecken, wenn man was dafür zeigen kann.
Aber Blumenthal wußte ebenso, daß seine Stärke hinter seinem Schreibtisch lag. Er setzte seine Brille ab und ging mich jetzt erst richtig an. Wir kämpften wie ein Tiger mit einer Pythonschlange. Blumenthal war der Python. Ehe ich mich umsehen konnte, hatte er mir schon fünfzehnhundert Mark abgehandelt.
Mir wurde angst und bange. Ich griff in die Tasche und nahm Gottfrieds Amulett fest in die Hand.»Herr Blumenthal«, sagte ich ziemlich erschöpft,»es ist ein Uhr, Sie müssen sicher zum Essen!«Ich wollte um alles in der Welt 'raus aus dieser Bude, in der die Preise wie Schnee zerschmolzen.
»Ich esse erst um zwei«, erklärte Blumenthal ungerührt,»aber wissen Sie was? Wir können jetzt die Probefahrt machen.«
Ich atmete auf.
»Nachher reden wir dann weiter«, fügte er hinzu. Ich atmete wieder ein.
Wir fuhren zu seiner Wohnung. Zu meinem Erstaunen war er im Wagen plötzlich wie ausgewechselt. Gemütlich erzählte er mir den Witz vom Kaiser Franz Josef, den ich längst kannte. Ich versetzte ihm dafür den vom Straßenbahnschaffner; er mir den vom verirrten Sachsen; ich ihm sofort den vom schottischen Liebespaar – erst vor seiner Wohnung wurden wir wieder Seriös. Er bat mich zu warten, er wolle seine Frau holen.
»Mein lieber dicker Cadillac«, sagte ich und klopfte dem Wagen auf den Kühler,»hinter dieser Witzeerzählerei steckt sicher wieder eine neue Teufelei. Aber sei nur ruhig, wir kriegen dich schon unter Dach und Fach. Er kauft dich schon – wenn ein Jude wiederkommt, dann kauft er. Wenn ein Christ wiederkommt, kauft er noch lange nicht. Er macht ein halbes Dutzend Probefahrten, um eine Droschke zu sparen, und dann fällt ihm plötzlich ein, daß er statt dessen eine Kücheneinrichtung braucht. Nein, nein, Juden sind gut, die wissen, was sie wollen. Aber ich schwöre dir, mein guter Dicker: Wenn ich diesem direkten Nachkommen des streitbaren Judas Makkabäus auch nur noch hundert Mark nachlasse, will ich mein ganzes Leben keinen Schnaps mehr trinken.«
Frau Blumenthal erschien. Ich erinnerte mich an alle Ratschläge von Lenz und verwandelte mich aus einem Kämpfer in einen Kavalier. Blumenthal hatte dafür nur ein niederträchtiges Lächeln. Der Mann war aus Eisen. Er hätte Lokomotiven verkaufen sollen, aber keine Trikotagen.
Ich sorgte dafür, daß er hinten in den Wagen kam und seine Frau neben mich.»Wohin darf ich Sie fahren, gnädige Frau?«fragte ich schmelzend.
»Wohin Sie wollen«, meinte sie, mütterlich lächelnd.
Ich begann zu plaudern. Es war eine Wohltat, einen harmlosen Menschen vor sich zu haben. Ich sprach so leise, daß Blumenthal nicht viel verstehen konnte. So sprach ich freier. Es war ohnehin schon schlimm genug, daß er hinten saß.
Wir hielten. Ich stieg aus und sah meinen Feind fest an.»Sie müssen doch zugeben, daß der Wagen sich wie Butter fährt, Herr Blumenthal.«
»Was heißt schon Butter, junger Mann«, entgegnete er sonderbar freundlich,»wenn die Steuern einen auffressen. Der Wagen kostet zuviel Steuern. Ihnen gesagt.«
»Herr Blumenthal«, sagte ich, bestrebt, den Ton festzuhalten,»Sie sind Geschäftsmann, zu Ihnen kann ich, aufrichtig reden. Das sind keine Steuern, das sind Spesen. Sagen Sie selbst, was erfordert ein Geschäft denn heute? Sie wissen es – nicht mehr Kapital wie früher -, Kredit braucht es! Und wie kriegt man Kredit? Immer noch durchs Auftreten. Ein Cadillac ist solide und flott – behäbig, aber nicht altmodisch – gesundes Bürgertum -, er ist die lebendige Reklame fürs Geschäft.«
Blumenthal wandte sich belustigt an seine Frau.»Ein jüdisches Köpfchen hat er, wie? Junger Mann«, sagte er dann, immer noch familiär,»die beste Reklame für Solidität ist heute ein schäbiger Anzug und Autobusfahren. Wenn wir beide das Geld hätten, das für die eleganten Autos, die da 'rumflitzen, noch nicht bezahlt ist, könnten wir uns bequem zur Ruhe setzen. Ihnen gesagt. Im Vertrauen.«
Ich sah ihn mißtrauisch an. Was hatte er nur mit seiner Freundlichkeit vor? Oder dämpfte die Gegenwart seiner Frau seinen Kampfgeist? Ich beschloß, eine Pistole abzufeuern.»So ein Cadillac ist doch was anderes als ein Essex, nicht wahr, gnädige Frau? Der Junior von Meyer und Sohn fährt so ein Ding, aber ich möchte ihn nicht geschenkt haben, diesen grellroten, auffälligen Schlitten…«