»Schwer zu sagen. Wer uns kennt, der läßt uns ohnehin in Ruhe, und Fremde habe ich in der Stadt nicht gesehen. Leider tauchen Prospektoren meist dann auf, wenn man sie am wenigsten erwartet. Gegen ehrliche Goldsucher habe ich ja gar nichts. Die sind für uns die beste Tarnung. Sorgen machen mir vielmehr diejenigen, die von unserem ›Fund‹ mitnaschen wollen. Ihr Jungs werdet wie immer Pfadfinder spielen – obwohl ich Don diesmal bei mir haben möchte. Falls du deine Chemielektionen gut gelernt hast, mein Sohn, könntest du mir helfen, ein oder zwei Probleme zu lösen. Falls Don wirklich mit mir zusammen geht, Roger, dann trägst du eine größere Verantwortung als sonst.« Der Junge nickte. Seine Augen glänzten.
Ganz allmählich war ihm aufgegangen, wie unterschiedlich seine eigene Familie und die seiner Schulkameraden den Sommer verbrachten. Zunächst hatten die Erzählungen von Ferien auf Ranches, an Meeresstränden und im Gebirge seinen Neid geweckt. Dann hatte er angefangen, mit seinen eigenen Bergferien zu prahlen. Als ihm schließlich klar wurde, daß bestimmte Aspekte dieser Ferien in den Bergen von einer Aura der Geheimhaltung umgeben waren, war sein Stolz stärker gewesen als seine Zurückhaltung – bis ihm allerdings auch klargeworden war, daß seine Schulkollegen ihm einfach nicht glaubten, daß sein Vater ›eine geheime Mine in den Bergen‹ hatte. Gekränkt hatte er hinfort den Mund gehalten, und bis ihm ein überzeugendes Argument eingefallen war, war ihm auch bewußt geworden, daß Schweigen für alle Beteiligten vielleicht das Beste war.
Es war jener Frühling gewesen, in dem er zehn Jahre alt geworden war. Sein Vater hatte von der Geschichte irgendwie gehört und hatte sich aus irgendeinem Grund gefreut. In jenem Sommer hatte er Roger in die Verantwortung miteinbezogen, die bislang Don ganz allein getragen hatte, der das Gelände rund um ihr Sommerhaus vor und während Mr. Wings Ausflügen in die Berge genau durchforschen mußte. Der Fund war Vaters ureigenes Geheimnis, das hatte er ihnen selbst gesagt, und aus Gründen, die er ihnen später einmal erklären wollte, sollte es auch so bleiben.
In jenem und den zwei darauffolgenden Sommern hatte er seine Ausflüge allein unternommen. Jetzt sah es ganz so aus, als würde es bald eine Änderung geben. Roger wußte, daß Don im vorigen Herbst, kurz bevor er ans College gegangen war, einiges erfahren hatte. Er hatte seine Studienfächer zum Teil auf Grund dieser Informationen gewählt – Chemie, Astronomie und Mathematik. Chemie, das leuchtete Roger noch ein, aber was die anderen Fächer sollten, das begriff er nicht. Im Zusammenhang mit Goldsuche erschien ihm Astronomie von höchst zweifelhaftem Wert.
Nun, dies alles würde er mit der Zeit herausfinden. Vielleicht sogar früher, als Don es erfahren hatte, denn es sah so aus, als würde ihr Vater endlich die Schranken abbauen. Im Moment bestand sein größtes Problem darin, sich einen Weg auszudenken, wie ein einziger Junge sich Überblick darüber verschaffen konnte, wer sich dem Sommerhaus bis auf eineinhalb Kilometer aus jeder Richtung näherte – und aus bestimmten Richtungen noch näher herankam. Roger kannte die Topographie der Umgebung recht gut. Trotzdem legte er sich jetzt schon eine Reihe von Erkundungsstreifzügen zurecht, da er sich über manche Punkte mehr Gewißheit verschaffen wollte. Er war ein junger Mann, der die Dinge ernst nahm, wenn sie ihm in diesem Licht präsentiert wurden.
Wie alle seine Altersgenossen neigte er aber auch dazu, seinen momentanen Interessen nachzugeben. Und er wurde aus seinen Überlegungen herausgerissen, als Edith ihn mit einem über die Schulter nach hinten geworfenen Tannenzapfen im Gesicht traf. Sie platzte vor Lachen heraus, als er sich vergeblich nach einem Mittel zur Vergeltung umsah – es gab offenbar in Reichweite keine Zapfen mehr, und der Pfad war an dieser Stelle so schmal, daß die Pferde hintereinander gehen mußten. Das Packpferd, das seine Schwester am Zügel führte, bildete ein unüberwindliches Hindernis.
»Wach auf und reiß dich aus deinen Träumen los«, stieß Edith zwischen Lachkrämpfen hervor. »Du siehst aus, als sei dir eingefallen, daß du deine Lieblingsangelrute in Spokane vergessen hast!«
Roger nahm sofort eine überlegene Haltung ein. »Ihr Mädchen habt bis September praktisch nichts zu tun«, erklärte er. »Es ist aber jede Menge Männerarbeit zu erledigen, und ich habe eben überlegt, wie man die Sache am besten angeht.«
»Männerarbeit?« Edith zog in gespieltem Erstaunen die Brauen hoch. »Dad hat zu tun, das weiß ich, aber du?« Sie wußte genau, worin Rogers Ferienpflichten bestanden, hatte aber ganz bestimmte Gründe für ihre Äußerung. »Für die paar Patrouillengänge ums Haus braucht man einen Mann?«
Roger gab sich einen Ruck. »Na, ein Mädchen brächte das jedenfalls nicht fertig«, erwiderte er. Die Worte waren kaum ausgesprochen, als er sie schon bereute. Ihm blieb keine Zeit, sich einen Ausweg aus der Ecke zurechtzulegen, in die er sich mit seiner Feststellung manövriert hatte.