Sie verblieben in der Bukowina, in der Stadt Vatra Dornei in ihrem rumänischen Teil (Czernowitz war die Hauptstadt der Nordbukowina, die der UdSSR angehörte), und machten sich letztendlich in Câmpulung sesshaft, wo die Schwester des Vaters lebte. Der Vater versuchte, einen Job zu finden, aber in dem jämmerlichen Zustand nach dem Knast konnte er nur als Nachtwächter tätig sein. Mutter Eli musste Familienernährerin werden: Sie fand Arbeit als Buchhalterin bei einer Firma. Das kleine Häuschen, in dem sie wohnten, bestand aus einem Zimmer und einer Küche.
Die Familie hörte lange nichts vom älteren Sohn, und er kämpfte inzwischen in der Roten Armee gegen die verhassten Deutschen. Während des Krieges war er in einem rumänischen Arbeitslager inhaftiert, aber dann gelang es ihm, zu fliehen und auf die Seite der Reichsfeinde zu überwechseln. Zuerst war er Sanitätswagenfahrer, dann Dolmetscher bei den Vernehmungen deutscher Gefangener: Die deutsche Sprache beherrschte er – wie übrigens alle seine Landsleute aus Czernowitz – genauso gut wie die Muttersprache (hier reicht wohl ein Hinweis auf Paul Celan).
Sobald der Bruder vom Militär entlassen wurde, kam er nach Czernowitz. Seine Familie war nicht mehr da, aber er wusste, dass sie am Leben blieben, und vermutete, dass sie sich in Rumänien aufhielten. Er selbst verblieb in Czernowitz und heiratete dort. Die Familie erfuhr, dass er am Leben war, erst Anfang der 50er Jahre, als ein normaler Briefverkehr wieder möglich wurde, und 1956, nach 10 Jahren, erhielt die Mutter zum ersten Mal die Erlaubnis, nach Czernowitz zu kommen, um ihren Sohn wiederzusehen und seine Familie kennenzulernen. In Czernowitz siedelten sich wieder Juden an, aber es waren ganz andere Juden – russische Juden, die überwiegend aus Moldau und der Ukraine gekommen waren.
Ende der 1950er kehrte der deportierte Bruder des Vaters endlich nach Czernowitz zurück. 20 Jahre lang lebte er mit seiner Frau in einem Dorf in Sibirien. Das Leben war unglaublich schwer, aber dort ermordete niemand Juden nur deswegen, weil sie Juden waren. Anfang der 60er Jahre besuchte er den Bruder in Rumänien und lernte seinen Neffen kennen.
Эли Клиглер / Eli Kligler
Während der ältere Bruder, wie man so sagt, «mit einem goldenen Löffel im Mund» geboren worden war und in der Kindheit alles hatte, kam Eli kurz vor Kriegsbeginn zur Welt und wuchs unter sehr bedrängten Verhältnissen auf, denn seine Eltern hatten inzwischen nichts.
Er absolvierte die Schule im rumänischen Vatra Dornei, aber als Jude durfte er keine Universität besuchen. In Câmpulung gab es aber eine Schule für Holztechnik, bei der Eli dann seine Unterlagen einreichte. Der Schulsekretär, ein Rumäne, erwies sich als anständiger Mensch. Er verlangte von Eli eine schriftliche Erklärung darüber, dass er nicht beabsichtige, nach Israel oder sonst wohin aus Rumänien auszuwandern. Dann fügte der Rumäne hinzu: «Die Erklärung wird in meiner Tischschublade liegen, bis jemand danach fragt. Dann werde ich sie vorlegen müssen. Alles steht in deiner Verantwortung». So war es auch eigentlich. Eli absolvierte diese Schule, wurde Förster und arbeitete ein paar Jahre in der rumänischen Waldwirtschaft.
In Israel und Deutschland
Nach dem Tod des Vaters 1962 entschied sich seine Witwe, Elis Mutter, für die Auswanderung nach Israel. 1964 kam die Einladung an, und in demselben Jahr emigrierten sie. Mutter und Sohn wurden nach Beer Sheva verteilt, dort begann Eli, im Ulpan Hebräisch zu lernen. 5 Tage die Woche, 5 Stunden am Tag. Und nach sechs Monaten sprach er schon Hebräisch. Er fand einen Job beim Jüdischen Nationalfonds – einer in der Wiederaufforstung tätigen israelischen Organisation.
Im Innersten zweifelte Junior Forstfachmann Eli sogar stark daran, dass man die Negev-Wüste in etwas Karpatenähnliches umwandeln konnte. Bald überzeugte er sich aber davon, dass dies durchaus möglich war – und ausgerechnet in der Gegend von Beer Sheva braust heute Israels größter Forst.
Alles war einwandfrei geplant, nur Hügel wurden beforstet, zum Ackerbau geeignete Talgebiete wurden unbepflanzt gelassen, und später kamen dorthin die Ansiedler. Sie bauten drei Siedlungen und legten riesige Weintraubenplantagen an – nun gelten die Weine aus dem Yatirwald als die besten in Israel.
1985 verstarb die Mutter von Eli in Beer Sheva. Eli selbst arbeitete 25 Jahre lang – von 1964 bis 1989 – beim Jüdischen Nationalfonds. Gleichzeitig studierte er fern und erwarb einen Bachelor in Volkswirtschaftslehre und einen Master in Management. Zu diesem Zeitpunkt war Eli ein Familienmann und hatte vier Kinder.