Vermutlich nicht, dachte er. Zwar entsprach Pawel Bondarew seinerzeit nicht meiner Idealvorstellung von Schwiegersohn. Es wäre mir lieber gewesen, Marina hätte einen Diplomaten geheiratet, aber dumm ist er nicht. Er ist klug und vorsichtig. Nie würde er anrufen, wenn er seiner Sache nicht sicher wäre. Außerdem haben die Amerikaner es gesehen…
Jedenfalls sagen sie das. Ein amerikanischer Naturwissenschaftler ruft einen sowjetischen Kollegen an. Ein Gefallen unter Wissenschaftlern.
War das möglich? Narowtschatow sah noch immer auf seine Notizen, als könnten sie ihm etwas sagen, das er noch nicht wußte. Akademiemitglied Pawel Bondarew war intelligent, er kannte diesen Amerikaner, und er war davon überzeugt, daß es stimmte. Natürlich stimmte es – die CIA war raffiniert. Fast so raffiniert wie der KGB.
Und wichtiger noch – beim KGB würde man den Amerikanern
Narowtschatows kunstvoll geschnitzter Schreibtisch stand am einen Ende eines behaglich eingerichteten, eleganten und geschmackvoll gehaltenen Raumes mit hoher Decke. Das unvermeidliche LeninPorträt beherrschte eine der Wände, an den anderen hingen Wandteppiche aus der Mongolei, und den Fußboden bedeckten Perserteppiche. Hier konnte er arbeiten, sich aber auch entspannen, was leider immer häufiger nötig wurde.
Zum erstenmal hatte er den Raum als ganz junger Soldat zu Beginn des Großen Vaterländischen Krieges gesehen. Sein Regiment war dem Kreml als Wache zugeteilt worden, unmittelbar vor der Vertreibung der Deutschen, und so hatte diese Aufgabe nicht lange gedauert. Man hatte sie bald darauf abkommandiert, Jagd auf die Deutschen zu machen.
In dieser kurzen Zeit aber hatte er genug gesehen.
Nikolai Nikolajewitsch Narowtschatow würde nie nach Kirow zurückkehren, wo sein Vater im Hammerwerk arbeitete. Diesem war der Kommunismus freundlich gesonnen gewesen, hatte ihn aus dem Elend der Dörfer, wo die Bauern im Winter froren, nach Kirow gebracht, in die vergleichbar warme Stadt mit ihrer Industrie. So hatten seine Kinder zur Schule gehen und Lesen und Schreiben lernen können. Mehr hatte Nikolai nie gewollt, wohl aber sein Sohn. Eine Weltanschauung, in der ein solches Büro Platz hatte, war es der Mühe wert, daß man sich näher mit ihr beschäftigte.
Es dauerte dreißig Jahre, aber er hatte nie gezweifelt, daß er es schaffen würde. Parteiarbeit beim Militär, dann während des Ingenieurstudiums an der Moskauer Universität, bei dem er stets ausgezeichnete Noten in den Politkursen bekam. In den wissenschaftlichen Fächern hätte er besser abschneiden können, aber er wollte seine Freunde nicht verprellen oder beschämen, die er sich ausschließlich unter den Verwandten hoher Parteifunktionäre suchte. Wer nach der Macht strebt, braucht Freunde in hohen Positionen, und wer dort niemanden kennt, bemüht sich, die Bekanntschaft von deren Kindern zu machen.
Der große Stalin starb, und Chruschtschow begann seinen allmählichen Aufstieg zur Macht. Es war keine einfache Zeit, denn es ließ sich schwer voraussagen, wer bei der unvermeidlichen Auseinandersetzung Sieger bleiben würde. Beria war gefallen und mit ihm das NKWD, das dann in die zivile Miliz und den KGB aufgeteilt wurde… Nikolai Narowtschatow wählte seine Freunde sorgfältig und achtete darauf, ständig in Verbindung mit der Partei zu bleiben. Schließlich heiratete er die Tochter des Parteisekretärs der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, der größten Unionsrepublik der UdSSR.
Bald darauf kam es zu Chruschtschows Sturz, und die Partei wurde noch mächtiger.