Das hatte es unter den Zaren nie gegeben, und auch nicht unter Lenin. So war Rußland nun einmal. »Dafür sind Gesetze erforderlich, Anatoli Wladimirowitsch. Bürgerliche Länder haben Gesetze, wir hingegen…« Er zuckte beredt die Achseln.
»… hatten Terror. Das ist keine Lösung. Sie werden sich kaum an die Zeit Stalins erinnern, mir aber steht sie nur allzugut vor Augen. Chruschtschow hat sich selbst ausgelöscht, indem er versuchte, die Erinnerung an Stalin auszulöschen, und diesen Fehler werden wir nie wieder begehen. Doch er hatte recht, der Mann war ein Ungeheuer. Selbst Lenin hatte vor ihm gewarnt.«
»Er hat getan, was nötig war«, sagte Narowtschatow.
»Auch wir werden das tun, wie bisher auch. Aber genug davon. Was sollen wir bezüglich des außerirdischen Raumschiffs tun?«
Narowtschatow hob die Schultern. »Die Armee macht mobil. Die Raketenstreitkräfte werden auf volle Kampfstärke gebracht, und wir bauen neue Weltraumwaffen.« Er runzelte die Stirn. »Ich weiß noch nicht, was die Amerikaner tun werden.«
»Ich auch nicht«, sagte der Vorsitzende. »Vermutlich dasselbe wie wir.«
Hoffentlich, dachte Narowtschatow. Falls nicht… Nun, immer und überall gab es ehrgeizige junge Offiziere, die bereit waren, einen Krieg vom Zaun zu brechen, wenn sie glaubten, daß sie ihn gewinnen könnten. »Wir haben auch den Kommandanten von Kosmograd von der Sache in Kenntnis gesetzt. Ich wüßte nicht, was ich sonst noch tun könnte.«
»Das genügt aber nicht«, sagte der Vorsitzende. »Was beabsichtigen diese Außerirdischen? Was könnte sie zu uns führen, über Milliarden von Kilometern? Immer vorausgesetzt, es handelt sich um Außerirdische und nicht um irgendeinen Humbug der CIA.«
Schon wieder? »Gemessen an einem solchen Humbug würde unser Raumfahrtprogramm wie Kinderspielereien erscheinen. Es sind bestimmt Außerirdische, und das Raumschiff besitzt einen Antrieb. Eher glaube ich an ein durch den Weltraum fliegendes Tier mit einer Rakete im Hintern als an einen Trick der CIA. Es ist mit Sicherheit ein interstellares Raumschiff, Anatoli Wladimirowitsch.«
»Das denke ich auch«, sagte der Vorsitzende. »Nur fällt es mir schwer, daran zu glauben. Was wollen diese Wesen? Niemand würde so weit reisen, nur um etwas zu erkunden. Bestimmt haben sie Gründe dafür, daß sie herkommen.«
»Sicherlich. Aber ich kenne diese Gründe nicht.«
»Die werden wir wohl erst erfahren, wenn sie bereit sind, sie uns zu nennen. Wir wissen zuwenig über all das.« Petrowski musterte Narowtschatow mit einem bauernschlauen Blick. »Ihre Tochter hat einen Raumfahrtwissenschaftler geheiratet. Ein kluger Mann, Ihr Schwiegersohn. Klug genug, um regierungstreu zu sein, und intelligent genug, um zu verstehen, was Ihre Beförderung zum Ersten Sekretär für ihn bedeutet.«
»Ja.«
»Jemand muß unsere Maßnahmen koordinieren und kommandieren. Wer?«
Er meint etwas Bestimmtes, dachte Narowtschatow. Immer meint er etwas, das er nicht sagt. Er ist gerissen, manchmal zu gerissen für mich, denn ich verstehe ihn nicht.
Wer sollte kommandieren? Die Nachricht, daß sich ein Raumschiff der Außerirdischen näherte, hatte im Kreml eine Art Panik ausgelöst. Alle waren aufgeregt, und das empfindliche Gleichgewicht im Politbüro war in Gefahr. Wer konnte kommandieren? Narowtschatow zuckte die Schultern. »Ich hatte gedacht, Marschall Ugatow…«
»Gewiß wird die Armee Vorschläge machen, und wir werden sie uns ebenso anhören wie die vom KGB.« Der Vorsitzende sah nach wie vor nachdenklich drein.
Was wollte Anatoli Wladimirowitsch? Die Sowjetunion wurde von einem Dreigespann aus Spitzenvertretern der Armee, des KGB und der Partei regiert. Wohl war die Partei dessen schwächstes Glied, doch zugleich hatte sie die größte Machtfülle, weil sie Beförderungen in den beiden anderen Organisationen steuern konnte. Andere Systeme waren erprobt worden, mit nahezu katastrophalen Ergebnissen. Nach Stalins Tod hatten Partei und Armee vor Beria Angst gehabt, dessen NKWD so mächtig gewesen war, daß er einmal in wenigen Wochen fast das gesamte Zentralkomitee kaltgestellt hatte.