Diese schöne Liddy nahm mich mit ihrer naiven Koketterie immer wieder gefangen, wenn ich sie sah. Ich war nie lange Zeit in sie verliebt, ich vergaß sie oft völlig, aber wenn ich bei ihr war, schlug jedesmal die Verliebtheit wieder über mir zusammen. Sie spielte mit mir wie mit andern, reizte uns, genoss ihre Macht und war selber dabei nur mit der neugierigen Sinnlichkeit ihrer Jugend beteiligt. Sie war sehr schön, aber nur wenn sie sprach und in Bewegung war, wenn sie mit ihrer warmen, tiefen Stimme lachte, wenn sie tanzte oder sich an der Eifersucht ihrer Liebhaber ergötzte. So oft ich von einer Gesellschafft heimkam, in der ich sie gesehen hatte, lachte ich mich selber aus und bewies mir, dass ein Mensch von meiner Art unmöglich diese gefällige Lebenskünstlerin im Ernst lieben könne. Manchmal aber gelang es ihr wieder, mich durch eine Geste, durch ein geflüstertes Wort so zu erregen, dass ich die halbe Nacht heiß und wild in der Nähe ihrer Wohnung unterwegs blieb.
Ich hatte damals eine kurze Periode der Wildheit und eines halb erzwungenen Übermutes. Nach Tagen der Niedergeschlagenheit und dumpfen Stille forderte meine Jugend stürmisch Bewegung und Rausch, und ich ging dann mit einigen gleichaltrigen Kameraden Lustbarkeiten und Streichen nach. Wir galten für lebenslustige, ausgelassene, ja gefährliche Tumultuanten, was bei mir nicht zutraf, und genossen bei Liddy und ihrem kleinen Kreise einen zweifelhaften, doch süßen Heldenruhm. Wieviel von diesem Treiben echte Jugendlust und wieviel gewollte Betäubung war, kann ich heute nimmer entscheiden, da ich jenen Zuständen und aller äußerlichen Jugendlichkeit längst völlig entwachsen bin. Wenn ein Zuviel dabei war, so habe ich es gebüßt. An einem Wintertage, da kein Unterricht war, zogen wir miteinander vor die Stadt hinaus, acht oder zehn junge Leute, darunter Liddy mit drei Freundinnen. Wir hatten Rodelschlitten mit, deren Benützung damals noch für ein Kindervergnügen galt, und suchten in der bergigen Umgebung der Stadt die Straßen und Wiesenhänge nach guten Schlittenbahnen ab. Ich erinnere mich des Tages genau, er war mäßig kalt, zuweilen kam die Sonne für Viertelstunden hervor, die kräftige Luft roch herrlich nach Schnee. Die Mädchen standen mit ihren farbigen Kleidern und Tüchern prächtig im weißen Grunde, die herbe Luft war berauschend und die heftige Bewegung in dieser Frische eine Lust. Unsere kleine Gesellschafft war in fröhlicher Laune, Ulknamen und Hänseleien flogen hin und wider, wurden durch Schneeballen beantwortet und führten zu kleinen Kriegen, bis wir alle heiß und voll Schnee dastanden und eine Weile veratmen mussten, ehe wir von neuem begannen. Es wurde eine große Schneeburg gebaut, belagert und erstürmt, dazwischen fuhren wir da und dort einmal einen kleinen Wiesenhang auf unseren Schlitten hinunter.
Um Mittag, als wir alle von dem Gestürme grimmig hungrig geworden waren, suchten und fanden wir ein Dorf und ein gutes Wirtshaus, ließen sieden und braten[13]
, bemächtigten uns des Klaviers, sangen, schrien, bestellten Wein und Grog. Das Essen kam und wurde festlich begangen, der gute Wein floß reichlich, danach begehrten die Mädchen Kaffee, während wir die Liköre versuchten. Es war ein Geschrei und Festlärm in der kleinen Stube, dass uns allen die Köpfe rauchten[14]. Ich war immer in Liddys Nähe, die mich heute in gnädiger Laune durch besondere Gunst auszeichnete. Sie blühte in dieser Luft voll Lustbarkeit und Rausch gar prächtig auf, ließ ihre hübschen Augen blitzen und duldete manche halb kühne, halb ängstlich gewagte Zärtlichkeit. Ein Pfänderspiel wurde begonnen, wobei die Pfänder am Klavier durch Nachahmung irgendeines unserer Lehrer eingelöst werden mussten, manche aber auch durch Küsse, deren Zahl und Beschaffenheit genau beobachtet wurde.