»Nur wir selbst und Hagrid würden uns sehen!«
»Harry, was, glaubst du, würdest du tun, wenn du dich selbst in Hagrids Hütte reinplatzen siehst?«, sagte Hermine.
»Ich – ich würde glauben, ich sei verrückt geworden«, sagte Harry,»oder vermuten, daß jemand schwarze Magie mit mir treibt -«
»Genau! Du würdest es nicht verstehen, du würdest dich vielleicht sogar selbst angreifen! Verstehst du nicht? Professor McGonagall hat mir erzählt, was für schreckliche Dinge schon geschehen sind, wenn Zauberer an der Vergangenheit herumgepfuscht haben… viele von ihnen haben im Durcheinander ihr vergangenes oder künftiges Selbst getötet!«
»Schon gut!«, sagte Harry,»war nur 'ne Idee, ich dachte -«
Doch Hermine stieß ihn in die Rippen und deutete hinüber zum Schloß. Harry schob den Kopf ein wenig vor, um das Portal in der Ferne sehen zu können. Dumbledore, Fudge, das alte Ausschußmitglied und Macnair, der Henker, kamen die Treppe herunter.
»Wir kommen jetzt gleich raus«, wisperte Hermine.
Und tatsächlich öffnete sich Augenblicke später Hagrids Tür und Harry sah sich Selbst, Ron und Hermine zusammen mit Hagrid herauskommen. Es war zweifellos das befremdlichste Erlebnis, das er je gehabt hatte: hinter einem Baum zu stehen und sich selbst dort drüben im Kürbisbeet zu beobachten.
»Ist schon gut, Schnäbelchen, es ist alles gut…«, sagte Hagrid. Dann wandte er sich Harry, Ron und Hermine zu.
»Geht jetzt. Sputet euch.«
»Hagrid, wir können nicht einfach -«
»Wir sagen ihnen, was wirklich passiert ist -«
»Sie dürfen ihn nicht umbringen -«
»Geht! Ist schon alles schlimm genug, da müßt ihr nicht auch noch Ärger kriegen!«
Harry sah, wie Hermine im Kürbisbeet den Umhang über ihn und Ron warf.
»Geht schnell. Und lauscht nicht…«
Vorne an Hagrids Tür klopfte es. Henker und Zeugen waren da. Hagrid wandte sich um und ging zurück in die Hütte. Die Hintertür ließ er offen. Harry sah, wie sich das Gras um die Hütte fleckweise plättete, und hörte, wie sich drei Paar Füße entfernten. Er, Ron und Hermine waren gegangen… doch der Harry und die Hermine, die sich hinter den Bäumen versteckt hatten, konnten jetzt durch die offene Hintertür hören, was in der Hütte vor sich ging.
»Wo ist das Biest?«, sagte die kalte Stimme Macnairs.
»Drau… draußen«, krächzte Hagrid.
Harry zog rasch den Kopf zurück, als Macnair an Hagrids Fenster auftauchte und zu Seidenschnabel hinaussah. Dann hörten sie Fudge.
»Wir – ähm – müssen dir den offiziellen Hinrichtungsbefehl verlesen, Hagrid, ich mach's kurz. Und dann mußt du ihn unterschreiben und Macnair auch. Macnair, hören Sie zu, das ist Vorschrift.«
Macnairs Gesicht verschwand vom Fenster. Jetzt oder nie.
»Warte hier«, flüsterte Harry.»Ich mach das.«
Fudge fing wieder an zu sprechen und Harry schnellte hinter seinem Baum hervor, sprang über den Zaun des Kürbisbeetes und lief auf Seidenschnabel zu.
»Der Ausschuß für die Beseitigung gefährlicher Geschöpfe hat beschlossen, den Hippogreif Seidenschnabel, im Weiteren der Verurteilte genannt, am sechsten Juni bei Sonnenuntergang hinzurichten -«
Und wieder starrte Harry, darauf bedacht, nicht zu blinzeln, in Seidenschnabels grimmiges rotes Auge und verbeugte sich. Seidenschnabel sank auf die schuppigen Knie und richtete sich wieder auf Harry nahm die Leine, die den Hippogreif an den Zaun band, und versuchte den Knoten zu lösen.
»… verurteilt zum Tode durch Enthauptung, auszuführen durch den vom Ausschuß ernannten Henker, Walden Macnair…«
»Komm mit, Seidenschnabel«, zischte Harry,»komm. mit, wir helfen dir. Leise… leise…«
»… und schriftlich von ihm zu bestätigen. Hagrid, du unterschreibst hier…«
Harry zerrte nach Leibeskräften an dem Seil, doch Seidenschnabel hatte sich mit den Vorderbeinen eingegraben.
»Nun, bringen wir's hinter uns«, sagte die dünne Stimme des alten Ausschußmitglieds in Hagrids Hütte.»Hagrid, vielleicht wäre es besser, wenn Sie drinbleiben würden -«
»Nein – ich – ich will bei ihm sein… ich will nicht, daß er allein ist -«
Das Geräusch von Schritten drang aus der Hütte.
»Seidenschnabel, beweg endlich deinen Hintern«, flehte Harry.
Er zog noch heftiger am Seil um Seidenschnabels Hals Der Hippogreif raschelte verärgert mit den Flügeln und bewegte sich allmählich. Noch waren sie einige Meter vom Wald entfernt und von Hagrids Hintertür aus deutlich zu sehen.
»Einen Moment noch bitte, Macnair«, erklang Dumbledores Stimme.»Auch Sie müssen hier unterschreiben.«Die Schritte verstummten. Harry warf sich ins Seil. Seidenschnabel schnappte mit dem Schnabel und ließ sich herab, ein wenig schneller zu gehen.
Hermines weißes Gesicht lugte hinter einem Baum hervor.
»Harry, schnell!«, zischte sie.
Noch immer konnte Harry Dumbledore in der Hütte sprechen hören. Noch einmal ruckte er an dem Seil. Seidenschnabel verfiel in einen widerwilligen Trott. Sie erreichten die Bäume.