Da war es, als ermanne sich der Prinz wieder zum Leben.»Severino, seid Ihr's selbst?«So rief der Prinz mit dem dumpfen Ton des tiefsten Entsetzens.»Allerdings«, erwiderte Meister Abraham, ohne im mindesten aus seiner Ruhe zu kommen, ohne nur die Miene zu verändern,»allerdings. Es ist mir sehr lieb, daß Ihr Euch meiner erinnert, gnädigster Herr; ich hatte die Ehre Euch vor etlichen Jahren in Neapel einen kleinen Dienst zu erzeigen.«
Der Meister trat noch einen Schritt vorwärts da faßte ihn der Prinz beim Arm, zog ihn mit Gewalt auf die Seite, und nun erfolgte ein kurzes Gespräch, von dem niemand der im Saal Befindlichen etwas verstand, da es zu schnell und im neapolitanischen Dialekt geführt wurde.
«Severino! – wie kam der Mensch zu dem Bildnis?«
«Ich gab es ihm zur Schutzwehr gegen Euch.«
«Weiß er?«
«Nein!«
«Werdet Ihr schweigen?«
«Zur Zeit – ja!«
«Severino! – alle Teufel sind mir auf den Hals gehetzt! Was nennt Ihr zur Zeit?«
«Solange Ihr artig seid und den Kreisler in Ruhe laßt und auch jene da!«
– Nun ließ der Prinz den Meister los und trat an ein Fenster. – Julia hatte sich indessen erholt. Mit dem unbeschreiblichen Ausdruck herzzerreißender Wehmut den Meister Abraham anschauend, lispelte sie mehr als daß sie sprach:»O mein guter, lieber Meister, Ihr könnt mich wohl retten! – Nicht wahr, Ihr gebietet über so manches? – Eure Wissenschaft kann noch alles zum Guten lenken!«– Der Meister gewahrte in Julia's Worten den wunderbarsten Zusammenhang mit jenem Gespräch, als habe sie in der höhern Erkenntnis des Traums alles verstanden und wisse um das ganze Geheimnis!
«Du bist ein frommer Engel«, sprach der Meister Julien leise ins Ohr,»und darum hat der finstre Höllengeist der Sünde keine Macht über Dich. Vertraue Dich mir ganz; fürchte nichts und fasse Dich mit aller Kraft des Geistes. – Denke auch an unsern Johannes.«
«Ach«, rief Julia schmerzlich,»ach Johannes! – er kehrt zurück, nicht wahr, Meister? ich werde ihn wiedersehen!«
«Gewiß«, erwiderte der Meister und legte den Finger auf den Mund; Julia verstand ihn. —
Der Prinz mühte sich, unbefangen zu scheinen; er erzählte, daß der Mann, den man hier, wie er vernehme, Meister Abraham nenne, vor mehreren Jahren in Neapel Zeuge einer sehr tragischen Begebenheit gewesen sei, in die er, der Prinz, selbst verflochten, wie er gestehen müsse. – Diese Begebenheit zu erzählen sei jetzt nicht an der Zeit, doch wolle er künftig nicht damit zurückhalten. —
Der Sturm im Innern war zu heftig, als daß sein Tosen nicht auf der Oberfläche hätte sichtbar sein sollen, und so stimmte des Prinzen verstörtes Antlitz, dem jeder Blutstropfen entschwunden schien, sehr schlecht überein mit dem gleichgültigen Gespräch, zu dem er sich nun zwang, um nur über den kritischen Moment hinwegzukommen. Besser als dem Prinzen gelang es der Prinzessin, die Spannung des Augenblicks zu besiegen. Mit der Ironie, die selbst den Argwohn, die Verbittrung verflüchtigt zum feinsten Hohn, neckte Hedwiga den Prinzen umher in dem Labyrinth seiner eignen Gedanken. Er, der gewandteste Weltmann, noch mehr, ausgerüstet mit allen Waffen einer Ruchlosigkeit, die alles Wahrhafte, jede Gestaltung des Lebens vernichtet, vermochte nicht diesem seltsamen Wesen zu widerstehen. Je lebhafter Hedwiga sprach, je feuriger und zündender die Blitze des geistreichen Spottes einschlugen, desto verwirrter, beängstigter schien sich der Prinz zu fühlen, bis dies Gefühl zum Unerträglichen stieg und er sich schnell entfernte.
Dem Fürsten geschah das, was ihm bei solchen Anstößen jedesmal zu geschehen pflegte; er wußte gar nicht, was er von dem allen denken sollte. Er begnügte sich mit einigen französischen Brocken ohne sonderliche Bedeutung, die er dem Prinzen zuwarf und die dieser mit ebensolchen erwiderte.
Der Prinz war schon zur Türe heraus, als Hedwiga plötzlich, im ganzen Wesen verändert zum Fußboden niederstarrte und mit einem seltsamen das Herz durchschneidenden Ton laut rief:»Ich sehe die blutige Spur des Mörders!«– Dann schien sie aus dem Traum zu erwachen, drückte Julien stürmisch an ihre Brust und lispelte ihr zu:»Kind, mein armes Kind, laß Dich nicht betören!«
«Geheimnisse, Einbildungen, Albernheiten, Romanenstreiche«, sprach der Fürst verdrießlich.»Ma foi, ich kenne meinen Hof nicht mehr! Meister Abraham! Ihr bringt meine Uhren in Ordnung, wenn sie nicht richtig gehen; ich wollt', Ihr könntet hier nachsehen, was für Schaden das Räderwerk genommen, das sonst niemals stockte. – Doch was ist das mit dem Severino?«
«Unter diesem Namen«, erwiderte der Meister,»ließ ich in Neapel meine optische und mechanische Kunststücke sehen.«
«So – so», sprach der Fürst, sah den Meister starr an, als schwebe ihm eine Frage auf den Lippen, drehte sich aber dann schnell um und verließ schweigend das Zimmer. —
Man hatte geglaubt, die Benzon befinde sich bei der Fürstin, dem war aber nicht so; sie hatte sich in ihre Wohnung begeben.