Julia sehnte sich nach der freien Luft; der Meister führte sie in den Park und lustwandelnd durch die halbentlaubten Gänge sprachen sie von Kreisler und seinem Aufenthalt in der Abtei. Sie waren an das Fischerhäuschen gekommen. Julia trat hinein, um sich zu erholen; Kreislers Brief lag auf dem Tisch; der Meister meinte, es sei gar nichts darin, das Julia Scheu tragen dürfe zu erfahren.
Während Julia den Brief gelesen, hatten sich ihre Wangen höher gefärbt, und sanftes Feuer, Abglanz des erheiterten Gemüts, strahlte aus ihren Augen.
«Siehst du wohl, mein liebes Kind«, sprach der Meister freundlich,»wie der gute Geist meines Johannes auch aus der Ferne tröstend zu Dir spricht? Was hast Du von bedrohlichen Anschlägen zu fürchten, wenn Standhaftigkeit, Liebe und Mut Dich schützen vor den Bösen, die Dir nachstellen.
«Barmherziger Himmel«, rief Julia mit emporgerichtetem Blick,»schütze mich nur vor mir selber!«Sie erbebte wie im jähen Schreck über die Worte, die sie willenlos ausgestoßen. Halb ohnmächtig sank sie in den Sessel und bedeckte mit beiden Händen ihr glühendes Antlitz.
«Ich verstehe dich nicht Mädchen«, sprach der Meister,»du verstehst Dich vielleicht selbst nicht und darum magst Du Dein eignes Inneres recht auf den Grund erforschen und Dir nichts etwa verschweigen aus weichlicher Schonung.«—
Der Meister überließ Julien dem tiefen Nachsinnen, in das sie versunken, und schaute mit übereinander geschlagenen Armen zu der geheimnisvollen Glaskugel. Da schwoll ihm die Brust vor Sehnsucht und wunderbarer Ahnung.
«Dich muß ich ja fragen«, sprach er,»mit dir muß ich mich ja beraten, mit dir, du meines Lebens schönes, herrliches Geheimnis! Schweige nicht, laß deine Stimme hören! – Du weißt es ja, niemals war ich ein gemeiner Mensch, unerachtet mich manche dafür hielten. Denn in mir glühte alle Liebe, die der ewige Weltgeist selbst ist und der Funke glimmte in meiner Brust, den der Hauch deines Wesens anfachte zur hellen fröhlichen Flamme! – Glaube nicht, Chiara, daß dies Herz darum, weil es älter worden, vereiset ist und nicht mehr so rasch zu schlagen vermag als damals, da ich dich dem unmenschlichen Severino entriß; glaube nicht, daß ich jetzt weniger deiner wert geworden, als ich es damals war, da du selbst mich aufsuchtest! – Ja! – laß nur deine Stimme hören, und ich will mit der Hast des Jünglings dem Ton so lange nachrennen, bis ich dich gefunden, und dann wohnen wir wieder zusammen und treiben in zauberischer Gemeinschaft die höhere Magie, welche alle Menschen, selbst die allgemeinsten, notgedrungen erkennen ohne daran zu glauben. – Und wandelst du nicht mehr leiblich hier auf Erden, spricht deine Stimme aus der Geisterwelt zu mir herab, so bin ich auch damit zufrieden und werde auch dann wohl noch ein tüchtigerer Kerl, als ich jemals gewesen. – Doch nein nein! Wie lauteten die tröstenden Worte, die du zu mir sprachst?
«Meister«, rief Julia, die sich aus dem Sessel erhoben und dem Alten in tiefstem Erstaunen zugehorcht hatte,»Meister! mit wem redet Ihr? was wollt Ihr beginnen? – Ihr nanntet den Namen: Severino, güt'ger Himmel! redete der Prinz, als er sich von seinem Entsetzen erholt hatte, Euch nicht selbst an mit diesem Namen? Welches furchtbare Geheimnis liegt hier verborgen?«
Der Alte kam bei diesen Worten Julia's augenblicklich aus dem erhöhten Zustande zurück, und auf seinem Gesicht verbreitete sich, wie es schon lange nicht mehr geschehen, jene seltsame beinahe grinsende Freundlichkeit, die mit seinem übrigens treuherzigen Wesen in dem wunderlichsten Zwiespalt stand und seiner ganzen Erscheinung den Anstrich einer etwas unheimlichen Karikatur gab.
«Mein schönes Fräulein«, sprach er mit dem grellen Ton, in dem aufschneiderische Geheimniskrämer gewöhnlich ihre Wunder anzupreisen pflegen,»mein schönes Fräulein, nur ein wenig Geduld, ich werde bald die Ehre haben Ihnen hier im Fischerhäuschen die allerwunderbarsten Dinge zu zeigen. – Diese tanzenden Männlein, dieser kleine Türke, welcher weiß, wie alt jeder in der Gesellschaft ist, diese Automate, diese Palingenesien, diese deformierten Bilder, diese optischen Spiegel – alles hübsches magisches Spielzeug, aber das Beste fehlt mir noch. Mein unsichtbares Mädchen ist da! – Bemerken Sie, dort oben sitzt sie bereits in der Glaskugel. Sie spricht aber noch nicht, sie ist noch müde von der weiten Reise, denn sie kommt gerades Weges aus dem fernen Indien. – In einigen Tagen, mein schönes Fräulein, kommt meine Unsichtbare und dann wollen wir sie befragen wegen des Prinzen Hektor, wegen Severino und anderer Begebnisse der Vergangenheit und Zukunft! – Für jetzt nur etwas weniges schlichtes Amüsement.«