Читаем Liebe Deinen Nächsten полностью

Die Kellner machten ärgerliche Gesichter.

Der Mann, der hereingekommen war, ging schweigend wie ein Mondsüchtiger durch die ganze Wirtsstube zu dem großen Rost hinüber, an dem über glühenden Holzkohlen sich ein paar Brathühner am Spieß drehten.

Der Mann examinierte die Hühner mit Röntgenaugen. »Was kostet das da?« fragte er dann den Kellner.

»Sechsundzwanzig Francs.«

»Und das da?«

»Sechsundzwanzig Francs.«

»Kosten alle sechsundzwanzig Francs?«

»Ja.«

»Warum sagen Sie mir das nicht gleich?«

»Weil Sie mich nicht gleich danach gefragt haben.«

Der Mann sah auf. Durch das Mondsüchtige brach einen Moment eine gesunde Wut durch. Dann deutete er auf das größte Huhn. »Geben Sie mir das da!«

Kern stieß Steiner an. Steiner saß aufmerksam da. Um seinen Mund zuckte es.

»Mit Salat, Bratkartoffeln, Reis?« fragte der Kellner.

»Mit nichts. Mit Messer und Gabel. Geben Sie es her.«

»Das Poulet!« sagte Kern leise. »Das alte Poulet, tatsächlich!«

Steiner nickte. »Er ist es! Das Poulet aus dem Gefängnis in Wien.«

Der Mann ließ sich an einem Tisch nieder. Er nahm seine Brieftasche heraus und überzählte sein Geld. Dann steckte er sie wieder fort und entfaltete feierlich die Serviette. Vor ihm prangte das gebratene Huhn. Der Mann hob die Hände wie ein Priester, als wolle er es segnen. Eine strahlende, wilde Genugtuung umschwebte ihn. Dann hob er es von der Schüssel auf seinen Teller hinüber.

»Wir wollen ihn nicht stören«, grinste Steiner leise. »Er hat sich sein Brathuhn sicher hart verdient.«

»Im Gegenteil, ich schlage vor, daß wir sofort flüchten!« erwiderte Kern. »Ich habe ihn bisher zweimal erlebt. Beide Male im Gefängnis. Jedesmal war er verhaftet worden im Moment, wo er ein Brathuhn essen wollte. Danach muß die Polizei jede Sekunde kommen!«

Steiner lachte. »Dann aber los! Lieber bei der Silvesterfeier der vom Schicksal Enterbten als in der Polizeiwache der Präfektur!«

Sie brachen auf. An der Tür sahen sie sich noch einmal um. Das Poulet löste gerade einen braunen, knusprigen Schenkel vom Körper des Huhnes los, betrachtete ihn wie ein Pilger das Heilige Grab und biß andächtig, dann aber entschlossen und mit einer ungeheuren Gefräßigkeit hinein.


EDITH ROSENFELD WAR eine zierliche, weißhaarige Frau von Sechsundsechzig Jahren. Sie war vor zwei Jahren mit sieben Kindern nach Paris gekommen. Sechs davon hatte sie untergebracht. Der älteste Sohn war als Arzt in den chinesischen Krieg gegangen, die älteste Tochter, die Philologin in Bonn gewesen war, hatte durch die Flüchtlingshilfe eine Stelle als Dienstmädchen in Schottland bekommen, der zweite Sohn hatte in Paris sein französisches Staatsexamen in Jura gemacht; als er keine Praxis fand, war er Kellner im Carlton Hotel in Cannes geworden, der dritte hatte sich in die Fremdenlegion gemeldet, der nächste war nach Bolivien ausgewandert, und die zweite Tochter lebte auf einer Orangenpflanzung in Palästina. Übriggeblieben war nur noch der jüngste Sohn. Für ihn suchte die Flüchtlingshilfe eine Möglichkeit, als Chauffeur nach Mexiko zu kommen.

Die Wohnung Edith Rosenfelds bestand aus zwei Zimmern – einem größeren für sie und einem kleinen, in dem der letzte Sohn, der Autofanatiker Max Rosenfeld, wohnte. Als Steiner, Marill, Kern und Ruth ankamen, waren schon ungefähr zwanzig Personen in den beiden Zimmern versammelt – alles Flüchtlinge aus Deutschland, einige mit, die meisten ohne Arbeitserlaubnis. Diejenigen, die es sich leisten konnten, hatten etwas zu trinken mitgebracht. Fast alle den billigen französischen Rotwein. Steiner und Marill saßen wie zwei Eckpfeiler dazwischen mit Kognak. Sie schenkten freigebig davon ein, um überflüssige Sentimentalität zu verhüten.

Moritz Rosenthal kam um elf Uhr. Kern kannte ihn kaum wieder. Er schien zehn Jahre älter geworden zu sein in kaum einem Jahr. Sein Gesicht war gelb, ohne einen Tropfen Blut, und er ging mühsam an einem Ebenholzstock mit einer altmodischen Elfenbeinkrücke.

»Edith, meine alte Liebe«, sagte er,»da bin ich wieder. Ich konnte nicht früher kommen. Ich war sehr müde.«

Er beugte sich nieder, um ihr die Hand zu küssen. Es gelang ihm nicht. Edith Rosenfeld stand auf. Sie war leicht wie ein Vogel. Sie hielt seine Hand und küßte ihn auf die Wange.

»Ich glaube, ich werde alt«, sagte Moritz Rosenthal. »Ich kann dir nicht mehr die Hand küssen. Du aber küßt mich furchtlos auf die Wange. Ja, wenn ich noch siebzig wäre!«

Edith Rosenfeld sah ihn an und lächelte. Sie wollte ihm nicht zeigen, wie erschrocken sie darüber war, daß er so elend aussah. Und Moritz Rosenthal zeigte ihr nicht, daß er wußte, wie erschrocken sie war. Er war ruhig und heiter, und er war nach Paris gekommen, um zu sterben.

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