Читаем Liebe Deinen Nächsten полностью

»Ja. Vier Wochen zu früh. Überanstrengt. Deshalb: Reisen, Umsteigen, Aufregung, ’rumlaufen und so was, verstehen Sie? Sollte eine Frau nicht machen in dem Zustand.«

»Und warum?«

Marill schenkte neu ein. »Warum…« sagte er. »Weil sie wollte, daß ihr Kind Tscheche würde. Weil sie nicht wollte, daß man es in der Schule schon anspucken und Dreckjude schimpfen sollte.«

»Ich verstehe«, sagte Kern. »Ist der Mann nicht mit ’rausgekommen?«

»Den Mann hat man vor ein paar Jahren eingelocht. Warum? Weil er ein Geschäft hatte und tüchtiger und fleißiger war als sein Konkurrent an der nächsten Ecke. Was macht man dann als Konkurrent? Man geht hin und zeigt den Fleißigen an – staatsverräterische Reden, geschimpft, oder kommunistische Ideen. Irgendwas. Darauf wird er eingelocht – und man übernimmt die Kunden. Kapiert?«

»Das kenne ich«, sagte Kern.

Marill trank sein Glas aus. »Ein rauhes Zeitalter. Der Frieden wird mit Kanonen und Bombenflugzeugen stabilisiert, die Menschlichkeit mit Konzentrationslagern und Pogromen. Wir leben in einer Umkehrung aller Werte, Kern. Der Angreifer ist heute der Hüter des Friedens, der Verprügelte und Gehetzte der Störenfried der Welt. Und es gibt ganze Völkerstämme, die das glauben!«

Eine halbe Stunde später hörten sie ein dünnes, quäkendes Schreien von nebenan.

»Verdammt!« sagte Marill. »Sie haben es geschafft! Ein Tscheche mehr auf der Welt! Darauf wollen wir einen heben! Los, Kern! Auf das große Mysterium der Welt! Die Geburt! Wissen Sie, warum es ein Mysterium ist? Weil man hinterher wieder stirbt. Prost.«

Die Tür öffnete sich. Der zweite Arzt kam herein. Er war blutbespritzt und schwitzte. In den Händen hielt er ein krebsrotes Etwas, das quäkte und dem er auf den Rücken patschte.

»Es lebt!« knurrte er. »Gibt’s hier irgendwas…« er griff nach einem Pack Tücher…»na, zur Not… Fräulein!«

Er übergab Ruth das Kind und die Tücher. »Baden und einwikkeln – nicht zu fest – die Alte drinnen weiß Bescheid, die Wirtin – aber ’raus aus dem Äther, lassen Sie es im Badezimmer…«

Ruth nahm das Kind. Ihre Augen schienen Kern doppelt so groß wie sonst. Der Arzt setzte sich an den Tisch. »Gibt’s hier Kognak?«

Marill goß ihm ein Glas ein. »Wie ist einem Arzt eigentlich zumute«, fragte er,»wenn er sieht, daß täglich neue Bombenflugzeuge und Kanonen gebaut werden, aber keine Hospitäler? Die einen sind doch nur dazu da, um die andern zu füllen.«

Der Arzt schaute auf. »Beschissen«, sagte er,»beschissen! Schöne Aufgabe: man flickt sie mit der größten Kunst zusammen, damit sie mit der größten Barbarei wieder in Stücke gerissen werden. Warum nicht gleich die Kinder totschlagen! Ist doch viel einfacher.«

»Mein Lieber«, erwiderte der Reichstagsabgeordnete Marill,»Kinder töten ist Mord. Erwachsene töten ist eine Angelegenheit nationaler Ehre.«

»Im nächsten Krieg werden auch genug Frauenbund Kinder dabei sein«, brummte der Arzt. »Die Cholera rotten wir aus – dabei ist das eine harmlose Krankheit gegen ein bißchen Krieg.«

»Braun!« rief der Arzt aus dem Nebenzimmer. »Rasch.«

»Ich komme!«

»Verdammt! Scheint nicht alles glatt zu gehen«, sagte Marill.


NACH EINIGER ZEIT kam Braun zurück. Er sah verfallen aus. »Riß im Gebärmutterhals«, sagte er. »Nichts zu machen. Die Frau verblutet.«

»Nichts zu machen?«

»Nichts. Haben alles versucht. Hört nicht auf zu bluten.«

»Können Sie keine Blutübertragung machen?« fragte Ruth, die in der Tür stand. »Sie können es von mir nehmen.«

Der Arzt schüttelte den Kopf. »Hilft nichts, Kindchen. Wenn’s nicht aufhört…«

Er ging zurück. Die Tür blieb offen. Das helle Viereck wirkte gespenstisch. Die drei saßen und schwiegen. Der Kellner tappte herein. -»Soll ich abräumen?«

»Nein.«

»Wollen Sie etwas trinken?« fragte Marill Ruth.

Sie schüttelte den Kopf.

»Doch, nehmen Sie was. Es ist besser.« Er goß ihr ein halbes Glas ein.

Es war dunkel geworden. Am Horizont über den Dächern schimmerte nur noch schwachgrün und orangefarben das letzte Licht. Darin schwamm der bleiche Mond, zerfressen von Löchern wie eine alte Messingmünze. Von der Straße her hörte man Stimmen. Sie waren laut, vergnügt und nichtsahnend. Kern erinnerte sich plötzlich an Steiner und das, was er gesagt hatte. Wenn neben dir jemand stirbt: du spürst es nicht. Das ist das Unglück der Welt. Mitleid ist kein Schmerz. Mitleid ist eine versteckte Schadenfreude. Ein Aufatmen, daß man es nicht selber ist oder einer, den man liebt. Er blickte zu Ruth hinüber. Er konnte ihr Gesicht nicht mehr sehen.

Marill horchte auf. »Was ist denn das?«

Ein langer, voller Geigenton schwang durch die anbrechende Nacht. Er verhallte, schwoll wieder an, stieg empor, sieghaft, trotzig – und dann begannen Läufe zu perlen, zarter und zarter, und eine Melodie löste sich los, einfach und traurig wie der versinkende Abend.

»Es ist hier im Hotel«, sagte Marill und spähte durchs Fenster. »Über uns in der vierten Etage.«

»Ich glaube, ich kenne ihn«, erwiderte Kern. »Es ist ein Geiger, den ich schon einmal gehört habe. Ich wußte nicht, daß er auch hier wohnt.«

»Das ist kein einfacher Geiger. Das ist viel mehr.«

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