Читаем Liebe Deinen Nächsten полностью

Oppenheim trank seinen Traubensaft aus und machte einige Schritte durch seinen Garten. Unten leuchtete der See wie ein blauer, vom Himmel gefallener Schild. »Und was ist mit Ihnen los?« fragte er in verändertem Ton. »Wohin wollen Sie?«

»Nach Paris.«

»Warum gerade nach Paris?«

»Ich weiß nicht. Um ein Ziel zu haben. Es soll besser sein, dort unterzukommen.«

»Warum bleiben Sie nicht in der Schweiz?«

»Herr Kommerzienrat!« Kern war plötzlich atemlos. »Wenn ich das könnte! Wenn Sie mir dazu verhelfen könnten, daß ich hierbliebe! Eine Empfehlung vielleicht, oder daß Sie bereit wären, mir Arbeit zu geben… wenn Sie mit Ihrem Namen…«

»Ich kann gar nichts machen«, unterbrach Oppenheim ihn eilig. »Gar nichts! Überhaupt nichts. So meinte ich das auch gar nicht. Es war nur eine Frage. Ich muß politisch völlig neutral sein, in jeder Beziehung. Ich kann mich in nichts einmischen!«

»Es ist doch nicht politisch…«

»Heute ist alles politisch! Die Schweiz ist mein Gastland. Nein, nein, kommen Sie mir nicht mit so was!« Oppenheim wurde immer mißmutiger. »Was wollten Sie denn sonst noch?«

»Ich wollte fragen, ob Sie etwas von diesen Kleinigkeiten brauchen könnten.« Kern zog ein paar Sachen aus der Tasche.

»Was haben Sie denn? Parfüm? Toilettewasser? Kommt nicht in Frage.« Oppenheim schob die Flaschen beiseite. »Seife? Na, ja. Seife kann man ja wohl immer brauchen. Zeigen Sie mal her! Schön. Lassen Sie ein Stück hier. Warten Sie…« Er griff in die Tasche, zögerte einen Augenblick, schob ein paar Geldstücke zurück und legte zwei Franken auf den Tisch. »So, ist ja wohl sehr gut bezahlt, was?«

»Es ist sogar zuviel. Die Seife koste nur einen Franken.«

»Na, lassen Sie nur«, erklärte Oppenheim großzügig. »Aber erzählen Sie es nicht weiter. Man wird sowieso schon furchtbar überlaufen.«

»Herr Kommerzienrat«, sagte Kern ruhig,»eben deshalb möchte ich nur das haben, was die Seife kostet.«

Oppenheim sah ihn etwas überrascht an. »Na, wie Sie wollen. Ein gutes Prinzip übrigens. Nichts schenken lassen. Das war auch immer mein Wahlspruch.«

Kern verkaufte nachmittags noch zwei Stück Seife, einen Kamm und drei Pakete Sicherheitsnadeln. Er verdiente damit insgesamt drei Franken. Mehr aus Gleichgültigkeit ging er schließlich in ein kleines Wäschegeschäft, das einer Frau Sarah Grünberg gehörte.

Frau Grünberg, eine Frau mit wirrem Haar und einem Zwicker, hörte ihn geduldig an.

»Das ist nicht Ihr Beruf, wie?« fragte sie.

»Nein«, sagte Kern. »Ich glaube, ich bin auch nicht sehr geschickt dafür.«

»Wollen Sie arbeiten? Ich mache gerade Inventur. Zwei bis drei Tage hätte ich zu tun. Sieben Franken am Tag und gutes Essen. Sie können morgen um acht kommen.«

»Gern«, sagte Kern,»aber…«

»Ich weiß schon… von mir erfährt keiner was. Und nun geben Sie mir ein Stück Seife. Reicht das, drei Franken?«

»Es ist zuviel.«

»Es ist nicht zuviel. Es ist zuwenig. Verlieren Sie den Mut nicht.«

»Mit Mut allein kommt man nicht weit«, sagte Kern und nahm das Geld. »Aber es gibt immer wieder Glück. Das ist besser.«

»Sie können mir jetzt noch ein paar Stunden aufräumen helfen. Einen Franken die Stunde. Nennen Sie das auch Glück?«

»Ja«, sagte Kern. »Mit Glück kann man gar nicht weit genug unten anfangen. Um so öfter kommt es.«

»Lernen Sie so was unterwegs?« fragte Frau Grünberg.

»Unterwegs nicht; aber in den Pausen, wenn ich nicht unterwegs bin. Dann denke ich darüber nach und versuche, etwas daraus zu lernen. Man lernt jeden Tag etwas. Manchmal sogar von Kommerzienräten.«

»Verstehen Sie auch was von Wäsche?« fragte Frau Grünberg.

»Nur von sehr grober. Ich habe kürzlich in einem Institut zwei Monate lang nähen gelernt. Allerdings nur sehr einfache Sachen.«

»Kann nie schaden«, erklärte Frau Grünberg. »Ich kann sogar Zähne ziehen. Habe es vor zwanzig Jahren mal von einem Dentisten gelernt. Wer weiß… vielleicht mache ich damit noch gelegentlich mein Glück!«


KERN ARBEITETE BIS zehn Uhr und bekam außer einem guten Abendessen noch fünf Franken ausgezahlt. Das reichte mit dem andern für zwei Tage und gab ein besseres Gefühl als hundert Franken des Kommerzienrates Oppenheim.

Ruth wartete auf ihn in einer kleinen Pension, die aus dem Adressenverzeichnis von Binder stammte. Man konnte dort ein paar Tage wohnen, ohne angemeldet zu sein. Sie war nicht allein. Neben ihr am Tisch auf der kleinen Terrasse saß ein schlanker, älterer Mann.

»Gottlob, daß du da bist«, sagte Ruth und stand auf. »Ich habe schon Angst um dich gehabt.«

»Du mußt keine Angst haben. Wenn man Angst hat, passiert meistens nichts. Es passiert nur etwas, wenn man gar nicht damit rechnet.«

»Das ist ein Sophismus, aber keine Philosophie«, sagte der Mann, der mit Ruth am Tisch gesessen hatte.

Kern drehte sich nach ihm um. Der Mann lächelte. »Kommen Sie und trinken Sie mit mir ein Glas Wein. Fräulein Holland wird Ihnen sagen, daß ich harmlos bin. Ich heiße Vogt und war irgendwann einmal Privatdozent in Deutschland. Leisten Sie mir etwas Gesellschaft bei meiner letzten Flasche.«

»Warum bei Ihrer letzten Flasche?«

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