Das Thema dieses letzten Tages war: «Wie erholt sich der Moskauer?» Herta und Kurt wollten das Filmpublikum der DDR mit den wichtigsten Parks unserer Hauptstadt bekannt machen, mit Sokolniki und Ismailowo, mit Fili und dem Gorki-Zentralpark, mit dem Zoo und dem Botanischen Garten. Diese Aufgabe war äußerst schwierig, und Herta und Kurt waren ziemlich nervös, um so mehr, als sie noch am selben Tag abends um neun Uhr nach Berlin zurückfahren sollten.
Das erklärt eine unangenehme Szene. Nadja, die davon erst an diesem Morgen erfuhr, fragte erstaunt: «Und meine ,Nadja-Stunde‘?» — «Ach, Nadja», rief Herta, «Sie haben nur Ihre dummen Redewendungen im Kopf!»
Nadja war wie vor den Kopf gestoßen 1. «Gut», erwiderte sie, «von jetzt an hören Sie von mir keine einzige Redewendung mehr!» Und wirklich, den ganzen Tag über 2 sprach Nadja nur in ganz einfachen und nüchternen Sätzen.
Das machte auf Herta Eindruck. Und als sie um sieben Uhr abends ins Hotel zurückgekommen waren und die Koffer schnell gepackt hatten, sagte Herta: «So, jetzt haben wir noch ein Stündchen Zeit. Liebe Nadja, verzeihen Sie mir meine bösen Worte von heute morgen! Wir sind gern bereit, die letzte ,Nadja-Stunde‘ durchzuführen.»
Nadja zögerte und schaute erwartungsvoll auf Kurt. Als aber auch Kurt ihr freundlich zulächelte, erklärte sie sich mit Freuden bereit 3 zur letzten «Nadja-Stunde».
1 wie vor den Kopf gestoßen (geschlagen) — как громом поражённый (-ая)
2 den ganzen Tag über — в течение всего дня
3 sich bereit erklären — соглашаться, дать своё согласие
Und da müssen wir natürlich unbedingt erfahren, worüber gesprochen wurde, nicht wahr?
«Ich habe einige Fragen an Sie», begann Nadja, «zuerst über die Redewendung ,Mach keine Fisimatenten 1‘! Woher kommt denn das? Was ist das für ein sonderbares Wort?»
1) Machen Sie doch keine Fisimatenten!
K u r t: Diese Redewendung hört man sehr oft.
K o r n e j e w: Man trifft sie auch häufig in Büchern. Ich habe sie bei Heinrich Mann getroffen, im Roman «Professor Unrat». Über den Ursprung dieser Redensart habe ich folgendes erfahren: Im Französischen gab es das Wort «Visement» — Aussehen. Daraus machten im Mittelalter die deutschen Ritter «Visamente». So nannten sie die Ornamente auf ihren Schildern. Aus «Visamente» wurde dann «Fisimatenten». Es gibt noch eine Reihe anderer Erklärungen. Ich bin im Besitz 2 einer Sammlung von 15 Erklärungen dieses sonderbaren Ausdrucks.
N a d j a: Dann sind Sie ohne Frage der reichste Sammler!
H e r t a: Und welches ist Ihrer Ansicht nach 3 die beste Erklärung?
K o r n e j e w: Ein deutscher Philologe führt das Wort Fisimatenten auf physica, mathematica zurück, d. h. Physik und Mathematik. Im Mittelalter stand unter den Scholastikern die Metaphysik in Blüte 4, die echten Wissenschaften aber standen in schlechtem Ruf 5. So bekamen die Wörter «Physik» und «Mathematik» eine schlechte Bedeutung.
N a d j a: Wie interessant! Und wie wird es noch erklärt?
K o r n e j e w: Sehr komisch ist zum Beispiel folgende Erklärung: 1871, nach dem deutsch-französischen Krieg, waren in Mainz gefangene französische Offiziere. Sie gingen manchmal ohne Erlaubnis spazieren. Wenn die deutschen Polizisten sie fragten: «Wohin?», so antworteten sie: «Je visite ma tante», d. h. «Ich besuche meine Tante.»
1 Mach keine Fisimatenten! — Не валяй дурака!
2 im Besitz sein — владеть, иметь
3 Ihrer Ansicht nach — по Вашему мнению
4 in Blüte stehen — процветать
5 er steht in schlechtem Ruf — о нём идёт дурная слава
Das wird so ausgesprochen: «Shö wisit ma tãt.» Das klingt wirklich ähnlich, nicht wahr? — Forschen ist immer interessant, wenn man auch nicht immer das Richtige findet.
N a d j a: Darum will ich auch alle deutschen Redensarten erforschen und ihren Ursprung kennen.
2) Machen Sie keine Flausen 1!
N a d j a: Ich weiß, daß man auch oft sagt: «Mach keine Flausen!» Aber ich weiß nicht, was Flausen sind.
K u r t: Leere Ausflüchte, Lügen.
N a d j a
H e r t a: Ja, der Flaus. Das ist ein Büschel Wolle, wollenes Gewebe.
N a d j a: Клок шерсти, шерстяная ткань.
K u r t: Ein Flausenmacher ist jemand, der viel phantasiert, gern Spaß macht, Scherz treibt.
3) Vom Federlesen
N a d j a: Es gibt noch einen Ausdruck, den ich gehört habe, aber nicht verstehen kann. Was heißt das: «nicht viel Federlesens machen 2»? Wann gebraucht man das? Und wie entstand diese Redewendung?
K u r t: Leider weiß ich das nicht.
H e r t a: Ich habe auch keine Ahnung, offen gesagt.