1 Der Tag, an dem Hedwig kam, war ein Montag, und an diesem Montagmorgen, bevor meine Wirtin mir Vaters Brief unter die Tür schob, hätte ich mir am liebsten die Decke übers Gesicht gezogen, wie ich es früher oft tat, als ich noch im Lehrlingsheim wohnte. Aber im Flur rief meine Wirtin: „Es ist Post für Sie gekommen, von zu Hause!" Und als sie den Brief unter die Tür schob, er schneeweiß in den grauen Schatten rutschte, der noch in meinem Zimmer lag, sprang ich erschrocken aus dem Bett, da ich statt des runden Stempels einer Postanstalt den ovalen der Bahnpost erkannte.
2 Vater, der Telegramme hasst, hat mir in den sieben Jahren, die ich allein hier in der Stadt lebe, nur zwei solcher Briefe mit dem Stempel der Bahnpost geschickt: der erstekündigte Mutters Tod an, der zweite Vaters Unfall, als er beide Beine brach — und dieser war der dritte; ich riss ihn auf und war erleichtert, als ich ihn las: „Vergiss nicht", schrieb Vater, „dass Mullers Tochter Hedwig, für die Du das Zimmer besorgtest, heute mit dem Zug ankommt, der 11.47 dort einläuft. Sei nett, hole sie ab und denke daran, ein paar Blumen zu kaufen und freundlich zu sein. Versuche Dir vorzustellen, wie es solch einem Mädchen zumute ist: sie kommt zum erstenmal allein in die Stadt, sie kennt die Straße, kennt den Stadtteil nicht, wo sie wohnen wird; alles ist ihr fremd, und der große Bahnhof mit dem Rummel um die Mittagszeit wird sie erschrecken. Bedenke: sie ist zwanzig Jahre alt und kommt in die Stadt, um Lehrerin zu werden. Schade, dass Du Deine Sonntagsbesuche bei mir nicht mehr regelmäßig machen kannst — schade. Herzlich Vater."
Илья Михайлович Франк , Илья Франк , Фридрих Дюрренматт , Яков Александрович Унфангер , Яков Унфангер
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