»Sie haben Angst«, sagte Jamie leise und hielt inne, um genau wie ich in die Stille zu horchen.
»Kein Wunder«, sagte ich. »Ich auch.«
Er gab ein leises Schnauben von sich, das Belustigung hätte ausdrücken können.
»Ich auch«, murmelte er, »aber nicht vor Geistern.« Er ergriff meinen Arm und schob die kleine Tür an der Seite der Sägemühle auf, bevor ich fragen konnte,
Im Innenraum konnte man die Stille förmlich greifen. Zuerst kam sie mir vor wie die gespenstische Stille toter Schlachtfelder, doch dann erkannte ich den Unterschied. Diese Stille lebte. Und was auch immer hier in der Stille lebte, es ruhte nicht. Ich hatte das Gefühl, in der Luft immer noch das Blut riechen zu können.
Dann holte ich tief Luft, und es überlief mich kalt. Ich konnte tatsächlich Blut riechen. Frisches Blut.
Ich packte Jamies Arm, doch er hatte es selbst gerochen. Sein Arm war unter meiner Hand hart geworden, die Muskeln wachsam angespannt. Ohne ein Wort entzog er sich meinem Griff und verschwand.
Einen Augenblick lang dachte ich wirklich, er wäre verschwunden, und brach fast in Panik aus, als ich nach ihm tastete und meine Hand sich dort, wo er gestanden hatte, nur um Luft schloss. Dann begriff ich, dass er sich nur das dunkle Plaid über den Kopf geworfen hatte, um die Blässe seines Gesichtes und des Leinenhemdes zu verbergen. Ich hörte seine Schritte, schnell und leicht auf dem Lehmboden, und dann war auch das verstummt.
Die Luft war heiß und still, und der süße, metallische Geruch von Blut hing schwer im Raum. Ganz genau so, wie es vor einer Woche gewesen war. Der Geruch beschwor Halluzinationen herauf. Immer noch von kaltem Grauen gepackt, wandte ich mich um und blickte angestrengt zur anderen Seite des höhlenartigen Raumes. Fast erwartete ich, die Szene, die mir ins Gedächtnis gegraben war, wieder aus der Dunkelheit auftauchen zu sehen. Das fest angespannte Seil des Holzkrans, den riesigen Haken, der mit seiner stöhnenden Last hin- und herschwang …
Ein Stöhnen zerriss die Luft, und ich biss mir fast die Lippe durch. In meiner Kehle stieg ein Schrei auf, nur die Angst, auf mich aufmerksam zu machen, ließ mich schweigen.
Wo war Jamie? Es drängte mich, ihn zu rufen, doch ich traute mich nicht. Meine Augen hatten sich so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass ich den Schatten des Sägeblattes erkennen konnte, einen formlosen Fleck in drei Metern Entfernung, doch die andere Seite des Raumes war eine Wand aus Schwärze. Ich bemühte mich, etwas zu sehen, und begriff mit Verspätung, dass ich in meinem hellen Kleid zweifellos für jeden zu sehen war, der sich mit mir im Raum befand.
Das Stöhnen erklang erneut, und ich fuhr zusammen. Meine Handflächen schwitzten.
Ich war vor Angst wie gelähmt und brauchte einige Momente, um zu begreifen, was meine Ohren mir gesagt hatten. Das Geräusch war nicht aus dem Dunkel am anderen Ende des Raumes gekommen, wo der Kran mit dem Haken stand. Es war von irgendwo hinter mir gekommen.
Ich fuhr herum. Die Tür, durch die wir eingetreten waren, stand immer noch offen, ein blasses Rechteck in der Finsternis. Es war nichts zu sehen, nichts bewegte sich zwischen mir und der Tür. Ich trat schnell einen Schritt darauf zu und hielt dann inne. Jeder Muskel in meinen Beinen brannte darauf, zu rennen wie der Teufel – doch ich konnte Jamie nicht allein lassen.
Wieder das Geräusch, dasselbe erstickte Keuchen körperlicher Qualen – Schmerz jenseits des Aufschreiens. Da fiel mir ein: Was, wenn das Geräusch von Jamie kam?
Das erschreckte mich so sehr, dass ich jede Vorsicht vergaß, mich in die Richtung drehte, aus der das Geräusch gekommen war, und seinen Namen rief, dass es vom Dachstuhl widerhallte.
»Jamie!«, rief ich noch einmal. »Wo
»Hier, Sassenach.« Jamies gedämpfte Stimme erklang irgendwo zu meiner Linken, ruhig, aber irgendwie drängend. »Komm zu mir, ja?«
Er war es nicht. Fast zitternd vor Erleichterung beim Klang seiner Stimme, polterte ich durch die Dunkelheit. Jetzt war mir egal, wer das Geräusch gemacht hatte, solange es nicht Jamie war.
Meine Hand stieß auf eine Holzwand, tastete sich blind vor und fand schließlich eine offenstehende Tür. Er war im Quartier des Aufsehers.
Ich trat durch die Tür und spürte die Veränderung sogleich. Hier drinnen war es noch stickiger und viel heißer als in der Sägemühle. Der Boden war aus Holz, doch meine Schritte hallten nicht wider; die Luft war totenstill und drückend. Und der Blutgeruch war noch stärker.
»Wo bist du?«, rief ich noch einmal, diesmal leise.
»Hier«, ertönte es überraschend nah bei mir. »Am Bett. Komm und hilf mir; es ist ein Mädchen.«
Er befand sich in dem winzigen Schlafzimmer. Der kleine Raum war fensterlos, und Licht gab es auch nicht. Ich fand sie mit Hilfe meines Tastsinns, Jamie, der auf dem Holzboden neben einem schmalen Bett kniete, und eine Gestalt in dem Bett.