Es war eine Frau, wie er gesagt hatte; das spürte ich mit einer Berührung. Die Berührung sagte mir auch, dass sie im Begriff war zu verbluten. Die Wange, über die ich strich, war kühl und klamm. Alles andere, was ich berührte, war warm und feucht; ihre Kleidung, das Bettzeug, die Matratze unter ihr. Ich spürte, wie an der Stelle, wo ich auf dem Boden kniete, Feuchtigkeit durch meinen Rock drang.
Ich suchte den Puls an ihrem Hals und konnte ihn nicht finden. Ihre Brust bewegte sich sachte unter meiner Hand, das einzige Lebenszeichen außer dem Seufzer, der dabei erklang.
»Ist schon gut«, hörte ich mich sagen, und meine Stimme klang beruhigend, jede Spur von Panik war daraus verschwunden, obwohl ich eigentlich jetzt noch mehr Grund dazu hatte. »Wir sind hier, du bist nicht allein. Was ist mit dir geschehen, kannst du mir das sagen?«
Währenddessen huschten meine Hände über Kopf und Kehle und Brust und Bauch, schoben durchnässte Kleider zur Seite, suchten blind, verzweifelt nach einer Wunde, die es zu verbinden galt. Nichts, kein hervorschießendes Blut, kein klaffender Schnitt. Und die ganze Zeit erklang ein leises, aber regelmäßiges
»Sagt …« Es war weniger ein Wort als ein artikulierter Seufzer. Dann eine Pause, ein schluchzendes Einatmen.
»Wer hat dir das angetan, Kleine?«, erklang Jamies körperlose Stimme leise und drängend. »Sag mir, wer?«
»Sagt …«
Ich berührte all die Stellen, wo große Blutgefäße dicht unter der Haut liegen, und fand sie unverletzt, ergriff ihren widerstandslosen Arm und hob sie an, schob eine Hand unter sie, um ihren Rücken abzutasten. Ihre gesamte Körperwärme hatte sich dort gesammelt, ihr Mieder war schweißnass, aber nicht blutdurchtränkt.
»Es ist alles gut«, sagte ich noch einmal. »Du bist nicht allein. Jamie, halt ihre Hand.« Hoffnungslosigkeit war über mich gekommen, ich wusste, was es sein musste.
»Ich habe sie schon«, sagte er zu mir und: »Mach dir keine Sorgen, Kleine«, zu ihr. »Es wird alles gut, hörst du?«
»Sagt …«
Ich konnte ihr nicht helfen, schob aber dennoch meine Hand noch einmal unter ihren Rock und ließ meine Finger zwischen die reglosen, gespreizten Oberschenkel wandern. Hier war sie immer noch warm, sehr warm. Blut lief mir sanft über die Hand und durch die Finger, heiß und feucht wie die Luft um uns, unaufhaltsam wie das Wasser, das durch die Mühlenschleuse floss.
»Ich … sterbe …«
»Ich glaube, jemand hat dich ermordet«, sagte Jamie ganz sanft zu ihr. »Willst du nicht sagen, wer dich umgebracht hat?«
Ihr Atem wurde lauter, wurde ein sanftes Rasseln.
»Ser … geant. Sagt … ihm …«
Ich zog meine Hand zwischen ihren Oberschenkeln hervor und ergriff ihre andere Hand, ohne mich um das Blut zu kümmern. Es spielte jetzt wohl kaum noch eine Rolle.
»…
»Das werde ich«, sagte Jamie. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern in der Dunkelheit. »Ich werde es tun. Das verspreche ich dir.«
In den Highlands nannte man es »Todestropfen«, das Geräusch tropfenden Wassers, wenn man es in einem Haus hörte, wo ein Mensch im Sterben lag. Was hier tropfte, war zwar kein Wasser, aber es war dennoch ein sicheres Zeichen.
Es kam kein Geräusch mehr aus der Dunkelheit. Ich konnte Jamie nicht sehen, fühlte aber die leichte Bewegung des Bettes an meinem Oberschenkel, als er sich vorbeugte.
»Gott wird dir vergeben«, flüsterte er in die Stille. »Geh in Frieden.«
Ich hörte das Summen sofort, als wir am nächsten Morgen das Quartier des Aufsehers betraten. In der staubigen Stille der Sägemühle war alles durch den weiten Raum und den Staub gedämpft worden. Doch in diesem kleinen, abgetrennten Areal fingen die Wände jedes Geräusch auf und warfen es zurück; das Echo unserer Schritte hallte vom Holzboden bis zur Holzdecke wider. Ich fühlte mich wie eine Fliege, die in einer kleinen Trommel eingesperrt ist, und erlebte einen Augenblick der Klaustrophobie, als ich in dem engen Durchgang zwischen den beiden Männern festsaß.
Es gab nur zwei Zimmer, die durch einen kurzen Durchgang getrennt waren, der von außen in die eigentliche Sägemühle führte. Zu unserer Rechten lag der größere Raum, in dem die Byrnes’ gewohnt und gekocht hatten, und links das kleinere Schlafzimmer, aus dem jetzt der Lärm kam. Jamie holte tief Luft, hielt sich das Plaid vors Gesicht und zog die Schlafzimmertür auf.
Es sah aus wie eine Tagesdecke auf dem Bett, ein stahlblauer Überwurf, der hier und da grün aufblitzte. Dann betrat Jamie das Zimmer, und die Fliegen erhoben sich summend von ihrem Mahl aus verklumptem Blut und protestierten gefräßig.