Doch er fand kein Vergessen in den erstickenden Wollfalten, und riss sich die Decke weg. Sein Herz klopfte, und seine Brust war so von dem Gefühl des Ertrinkens erfüllt, dass er die Luft geradezu hinunterschluckte, wieder und wieder, bis ihm schwindelig wurde, und immer noch atmete er tief ein, als müsste er für jene mitatmen, die es nicht mehr konnten.
»Es ist besser so, Junge«, hatte Hutchinson in schroffem Mitgefühl zu ihm gesagt, als er vorbeiging, während Roger sich über die Reling auskotzte. »Die Pocken verbreiten sich wie ein Waldbrand; keiner in dem Frachtraum würde lebend das Ziel erreichen, wenn wir die Kranken nicht herausholen würden.«
Und war das besser, als langsam an den Wunden und am Fieber zu sterben? Nicht für die, die zurückblieben; das Jammern ging weiter; es zerschnitt die Stille und durchbohrte Holz wie Herz.
Verstümmelte Bilder blitzten in seiner Erinnerung auf, gestutzte Szenen, eingefangen von unsichtbaren Blitzlichtern; das verzerrte Gesicht des Matrosen, als er in die Luke stürzte; der halboffene Mund des kleinen Jungen, dessen Inneres von Eiterbeulen übersät war. Bonnet, der über der Schlägerei stand und mit seinem Gesicht eines gefallenen Engels zusah. Und das dunkle, hungrige Wasser, leer unter dem Mond.
Irgendetwas glitt mit einem dumpfen Rumpeln an der Schiffshülle vorbei, und er rollte sich zitternd zusammen, nahm weder die erstickende Hitze unter Deck wahr noch die schläfrige Beschwerde seines Nebenmannes. Nein, nicht leer. Er hatte die Seeleute sagen hören, dass Haie niemals schlafen.
»O Gott«, sagte er laut. »O Gott!« Er hätte für die Toten beten sollen, doch er konnte es nicht.
Er rollte sich erneut zusammen, wand sich und versuchte zu vergessen, und im Echo des vergeblichen Gebetes fand er seine Erinnerung wieder – jene wenigen, verzweifelten Worte, die er gehört hatte, ohne sie zu verstehen, als sie ihm in jenen Momenten blinder Wut ins Ohr gekeucht wurden.
Er rollte sich auseinander und lag in kalten Schweiß gebadet steif da.
Zwei Gestalten im Schatten. Und die offene Luke zum Lagerraum, vielleicht sechs Meter weiter.
»O Gott«, sagte er noch einmal, doch diesmal
Erst in der Mitte der Hundewache bot sich Roger am nächsten Tag die Gelegenheit, in den Lagerraum hinunterzusteigen. Er versuchte erst gar nicht zu verhindern, dass man ihn sah; die Beobachtung seiner Schiffskameraden hatte ihn schnell gelehrt, dass in beengten Verhältnissen nichts so schnell Aufmerksamkeit erregte wie Heimlichtuerei.
Falls ihn jemand fragte, dann hatte er ein rumpelndes Geräusch gehört und sich gedacht, dass sich vielleicht die Fracht verlagert hatte. Das war ja auch nah genug an der Wahrheit.
Er ließ sich mit den Händen vom Rand der Luke schwingen; wenn er die Leiter nicht herunterließ, war es weniger wahrscheinlich, dass man ihm folgte. Er ließ sich in die Dunkelheit fallen und landete hart und mit einem krachenden Geräusch. Wenn hier unten jemand war, dann musste er das gehört haben – und falls ihm jemand folgte, würde er selbst gleichermaßen gewarnt sein.
Er ließ sich einen Augenblick Zeit, um sich von seinem Aufprall zu erholen, und begann dann, sich vorsichtig zwischen den hohen, schwach erleuchteten Massen der aufgestapelten Fracht vorwärtszubewegen. Alles schien an den Rändern verschwommen zu sein. Es war nicht nur das schwache Licht; sämtliche Gegenstände im Frachtraum vibrierten leicht und trommelten im Rhythmus der zitternden Bordwand. Er konnte es wahrnehmen, wenn er genau hinhörte; es war der leiseste Ton im Gesang des Schiffes.
Durch die engen Gänge zwischen den Reihen der Kisten hindurch, vorbei an den massiven Bäuchen der dicht an dicht gereihten Wasserfässer. Er holte Atem, die Luft war vom Geruch feuchten Holzes erfüllt, den das schwache Parfüm des Tees überlagerte. Es raschelte und ächzte, viele seltsame Geräusche – doch keine Spur von der Anwesenheit eines Menschen. Dennoch war er sich sicher, dass jemand hier war.
Weil er es nicht lassen konnte, lautete die Antwort. Er machte sich keine Vorwürfe darüber, dass er es nicht geschafft hatte, die pockenkranken Passagiere zu retten; ihnen hätte sowieso nichts helfen können, und vielleicht war der schnelle Tod durch Ertrinken ja wirklich nicht schlimmer als die langsame Agonie der Krankheit. Das hätte er jedenfalls gern geglaubt.