»Sie sind es nicht! Ich schwöre zu St. Bride, sie sind es nicht!« Eine kleine Hand schoss aus dem Schatten hervor und packte ihn am Ärmel. »Es ist so, wie ich es Euch sage, es ist nur von der Milch, ich habe so etwas schon öfter gesehen, Mann – schon hundert Mal! Ich bin das älteste von neun Kindern, ich weiß genau, wann ein Kind krank ist und wann es nur zahnt!«
Er zögerte und fasste dann abrupt seinen Entschluss. Wenn sie sich irrte und das Kind die Blattern hatte, dann hatte sie sich wahrscheinlich schon angesteckt; sie zum Zwischendeck zurückzubringen, würde nur bedeuten, die Krankheit weiterzuverbreiten. Und wenn sie recht hatte – dann wusste er genauso gut wie sie, dass es keine Rolle spielte; jede Art von Ausschlag würde das Kind auf den ersten Blick zum Tod verurteilen.
Er konnte spüren, wie sie zitterte, am Rande der Hysterie. Er hätte sie gern zur Beruhigung berührt, überlegte es sich aber anders. Sie würde ihm nicht vertrauen, und das war ja auch kein Wunder.
»Ich verrate Euch nicht«, flüsterte er.
Die Antwort war argwöhnisches Schweigen.
»Ihr braucht etwas zu essen, nicht wahr? Und frisches Wasser. Ohne das habt Ihr bald keine Milch mehr, und was ist dann mit dem Kind?«
Er hörte ihren Atem, abgehackt und zugeschleimt. Sie war krank, doch es waren nicht die Pocken; alle Passagiere im Zwischendeck husteten und keuchten – die Feuchtigkeit war ihnen von Anfang an auf die Lungen geschlagen.
»Zeigt ihn mir.«
»Nein!« Ihre Augen blitzten im Dunkeln auf wie die Augen einer in die Enge getriebenen Ratte, und der Rand ihrer Lippen hob sich von den kleinen, weißen Zähnen.
»Ich schwöre, ich nehme ihn Euch nicht weg. Aber ich muss ihn sehen.«
»Worauf schwört Ihr?«
Er suchte in seinem Gedächtnis nach einem passenden keltischen Eid, doch dann gab er auf und sagte einfach, was ihm auf der Zunge lag.
»Auf das Leben meiner eigenen Frau«, sagte er, »und auf meine ungeborenen Söhne.«
Er spürte ihre Zweifel, und dann ließ ihre Anspannung ein wenig nach; das runde Knie, das gegen sein Bein gepresst war, machte eine kleine Bewegung, als sie sich entspannte. Neben ihnen raschelte es leise zwischen den Ketten. Diesmal waren es echte Ratten.
»Ich kann ihn hier nicht allein lassen, um Essen stehlen zu gehen.« Er sah, wie sie den Kopf schwach dem Geräusch zuneigte. »Sie fressen ihn bei lebendigem Leib; sie haben mich schon im Schlaf gebissen, die dreckigen Biester.«
Er streckte die Hände aus, denn er war sich ständig der Geräusche auf dem Deck bewusst. Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass jemand hier herunterkommen würde, doch wie lange würde es dauern, bis man ihn oben vermisste?
Sie zögerte immer noch, griff aber schließlich mit einem Finger nach ihrer Brust und löste den Mund des Kindes mit einem leisen
Er hatte noch nicht viele Babys gehalten; das schmutzige, kleine Bündel fühlte sich überraschend an – träge und trotzdem lebendig, weich und dennoch robust.
»Vorsicht mit seinem Kopf!«
»Ich hab ihn.« Er umschloss den warmen, runden Schädel behutsam mit einer Hand, ging gebückt ein paar Schritte rückwärts und hielt das Gesicht des Kindes in das Dämmerlicht.
Seine Wangen waren mit rötlichen Pusteln übersät, die weiße Stippchen hatten – für Roger sahen sie genau wie Pocken aus, und er spürte, wie ein Zittern des Abscheus seine Handflächen durchlief. Auch, wenn man immun war, brauchte man Mut, um die Seuche zu berühren und nicht zurückzuschrecken.
Er sah das Kind mit zusammengekniffenen Augen an und löste dann vorsichtig seine Windeltücher, ohne den gezischten Protest der Mutter zu beachten. Er ließ seine Hand unter die Kleidung des Babys gleiten und spürte zuerst das durchnässte Tuch, das ihm zwischen den stämmigen Beinchen hing, und dann die glatte, seidige Haut von Brust und Bauch.
Das Kind kam ihm wirklich nicht sehr krank vor; seine Augen waren klar, nicht trübe. Und der winzige Junge schien zwar zu fiebern, doch es war nicht die sengende Hitze, die er in der vergangenen Nacht gespürt hatte. Das Baby jammerte und wand sich, das stimmte, doch es trat mit der ganzen, wütenden Kraft seiner winzigen Glieder um sich, nicht in den schwachen Krämpfen eines sterbenden Kindes.
»Gut«, flüsterte er schließlich. »Wahrscheinlich habt Ihr recht.« Er spürte mehr, als dass er es sah, wie sie den Arm sinken ließ – sie hatte den Dolch bereitgehalten.
Vorsichtig gab er ihr das Kind zurück und fühlte dabei eine Mischung aus Erleichterung und Bedauern. Und die erschreckende Erkenntnis der Verantwortung, die er auf sich genommen hatte.