Wie würde es sein?, fragte sie sich. Das hatte sie sich schon hundertmal gefragt und sich hundert verschiedene Szenen ausgemalt: Was sie sagen würde, was er sagen würde – würde er sich freuen, sie zu sehen? Sie hoffte es, und doch würde er ein Fremder sein. Wahrscheinlich hätte er keinerlei Ähnlichkeit mit dem Mann in ihrer Phantasie. Unter Schwierigkeiten kämpfte sie die Erinnerung an Laoghaires Stimme nieder:
»Ein jeder Tag hat seine eigene Plage«, murmelte sie vor sich hin. Sie hatte den Ortskern von Cross Creek erreicht; die verstreuten Häuser verdichteten sich, und der Feldweg verbreiterte sich zu einer gepflasterten Straße, die von Läden und größeren Häusern gesäumt war. Es waren Leute unterwegs, doch es war die heißeste Zeit des Nachmittags, in der die Luft still und schwer auf der Stadt lag. Wer konnte, hielt sich im Schatten geschlossener Räume auf.
Die Straße machte eine Biegung und folgte dem Ufer. Eine kleine Sägemühle stand etwas abgelegen auf einer Landzunge, und daneben war ein Wirtshaus. Dort würde sie fragen, beschloss sie. Es war so heiß, dass sie etwas zu trinken gebrauchen konnte.
Sie klopfte sich auf die Rocktasche, um sich zu versichern, dass sie Geld dabeihatte. Stattdessen spürte sie das stachelige Äußere einer Rosskastanienhülle und zog ihre Hand fort, als hätte sie sich verbrannt.
Sie fühlte sich wieder leer, obwohl sie etwas gegessen hatte. Mit zusammengepressten Lippen band sie das Maultier fest und tauchte in die dunkle Zuflucht des Wirtshauses ein.
Der Raum war leer bis auf den Wirt, der schlaftrunken auf seinem Hocker saß. Beim Klang ihrer Schritte wurde er lebendig, und nach den üblichen, überraschten Glubschaugen über ihre Erscheinung servierte er ihr ein Bier und erklärte ihr höflich den Weg zum Gerichtshaus.
»Danke.« Sie wischte sich mit dem Rockärmel den Schweiß von der Stirn – selbst drinnen war die Hitze erdrückend.
»Also seid Ihr wegen des Prozesses hier?«, fragte der Wirt, der sie nach wie vor neugierig betrachtete.
»Ja – na ja, nicht direkt. Wem wird da eigentlich der Prozess gemacht?«, fragte sie, denn erst jetzt wurde ihr klar, dass sie keine Ahnung hatte.
»Oh, Fergus Fraser natürlich«, sagte der Mann, als setzte er voraus, dass jedermann wusste, wer Fergus Fraser war. »Die Anklage lautet Überfall auf einen Offizier der Krone. Aber er wird sowieso freigesprochen«, fuhr der Wirt gelassen fort. »Jamie Fraser ist seinetwegen vom Berg gekommen.«
Brianna verschluckte sich an ihrem Bier.
»Ihr
Die Augenbrauen des Wirtes fuhren hoch.
»Wartet nur einen Moment, dann lernt Ihr ihn auch kennen.« Er wies kopfnickend auf einen Zinnkrug, der auf dem Nebentisch stand. Er war ihr beim Hereinkommen nicht aufgefallen. »Er ist hinten hinausgegangen, gerade, als Ihr hereinkamt. He – hey!« Er schrak mit einem Überraschungsschrei zurück, als sie ihren Krug zu Boden fallen ließ und blitzschnell zur Hintertür hinausschoss.
Nach dem Halbdunkel des Schankraums blendete das Tageslicht. Brianna blinzelte, und ihre Augen überflogen hastig die Bahnen aus Sonnenlicht, die aus dem grünen Laub einer schwankenden Ahornreihe hervorstachen. Dann fing ihr Blick unter den tanzenden Blättern eine Bewegung auf.
Er stand im Schatten der Ahornbäume, halb von ihr abgewandt, den Kopf voll Konzentration gesenkt. Ein hochgewachsener Mann, langbeinig und elegant, mit breiten Schultern unter einem weißen Hemd. Er trug einen verblichenen Kilt in blassen Grün- und Brauntönen, den er vorn lässig hochhielt, während er gegen einen Baum urinierte.
Er beendete sein Geschäft, ließ den Kilt herabfallen und wandte sich der Poststation zu. Er sah sie dastehen und ihn anstarren, und er verspannte sich ein wenig, die Hände halb zusammengeballt. Dann durchschaute er ihre Männerkleidung, und sein argwöhnischer Blick verwandelte sich augenblicklich in Verblüffung, als er begriff, dass sie eine Frau war.
Vom ersten Blick an hatte sie keinen Zweifel. Sie war gleichzeitig überrascht und nicht im mindesten überrascht; er war nicht ganz das, was sie sich vorgestellt hatte – er kam ihr kleiner vor, nur ein bisschen größer als sie selbst –, doch sein Gesicht trug dieselben Züge wie das ihre; die lange, gerade Nase, das trotzige Kinn und die schrägstehenden Katzenaugen in ihrem Rahmen aus elegant geformten Knochen.
Er kam aus dem Schatten der Ahornbäume auf sie zu, und die Sonne traf sein Haar in einem Regen aus Kupferfunken. Fast unbewusst hob sie die Hand und schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Aus dem Augenwinkel sah sie bei ihm dasselbe glänzend dichte Rotgold.
»Was willst du hier, Kleine?«, fragte er. Scharf, aber nicht unfreundlich. Seine Stimme war tiefer, als sie es sich vorgestellt hatte; der rollende Highlandakzent war schwach, aber deutlich.