Wie mochte es erst Jamie gehen, der nicht nur sich und mich in Gefahr sah, sondern die erdrückende Verantwortung für so viele andere Menschen trug? Ian, Fergus, Marsali, Duncan, die Bewohner von Lallybroch – sogar die verdammte Nervensäge Laoghaire. Ich wusste nicht, ob ich bei dem Gedanken an das Geld, das Jamie ihr geschickt hatte, lachen oder weinen sollte; die rachsüchtige Kreatur war im Moment sehr viel besser dran als wir. Bei dem Gedanken an Rache durchfuhr mich etwas, was all meine anderen Befürchtungen verblassen ließ. Jamie war zwar nicht sonderlich rachsüchtig – für einen Schotten –, doch kein Highlander würde einen solchen Verlust, den Verlust nicht nur seines Vermögens, sondern auch seiner Ehre, in stiller Resignation erdulden.
Jamie starrte unbeweglich in das dunkle Wasser, sein Mund war zusammengepresst; sah er wieder den Friedhof vor sich, wo er sich einverstanden erklärt hatte, Bonnet bei der Flucht zu helfen, von Duncan in alkoholisierter Sentimentalität überredet?
Erst jetzt kam mir der Gedanke, dass die finanziellen Aspekte dieser Katastrophe Jamie wahrscheinlich noch gar nicht in den Sinn gekommen waren – er war ganz mit seinen bitteren Erinnerungen beschäftigt. Er war es gewesen, der Bonnet geholfen hatte, der Schlinge des Henkers zu entwischen, er hatte es ihm ermöglicht, wieder Unschuldigen nachzustellen. Wie viele Menschen würden außer uns noch deswegen leiden müssen?
»Es ist nicht deine Schuld«, sagte ich und berührte sein Knie.
»Wessen Schuld denn sonst?«, fragte er still, ohne mich anzusehen. »Ich wusste, was er für ein Mensch war. Ich hätte ihn seinem verdienten Schicksal überlassen können – und habe es nicht getan. Ich war ein Narr.«
»Du hast eine gute Tat getan. Das ist nicht dasselbe.«
»Aber fast.«
Er atmete tief ein; die Luft war frisch und enthielt eine Spur von Ozon: Bald würde es regnen. Er griff nach dem Becher mit Apfeltrester und trank, dann sah er mich zum ersten Mal an und hielt den Becher fragend hoch.
»Ja, gern.« Ich kämpfte mich hoch, doch Jamie half mir auf, so dass ich an ihm lehnte. Er hielt den Becher fest, so dass ich trinken konnte, und die Flüssigkeit glitt mir sanft und warm wie Blut über die Zunge, fing Feuer, als sie mir durch die Kehle lief, brannte die Spuren der Übelkeit und des Tabaks fort und hinterließ an ihrer Stelle den nachhaltigen Geschmack gebrannten Zuckerrohrs.
»Besser?«
Ich nickte und hielt die rechte Hand hoch. Er steckte mir den Ring an den Finger, das Metall noch warm von seiner Hand. Dann bog er meine Finger um, drückte meine Faust und hielt sie fest.
»Ob er uns wohl seit Charleston gefolgt ist?«, fragte ich mich laut.
Jamie schüttelte den Kopf. Sein Haar war immer noch offen und fiel in üppigen Wellen nach vorn, die sein Gesicht verbargen.
»Ich glaube nicht. Wenn er gewusst hätte, dass wir die Steine haben, hätte er uns auf der Straße aufgelauert, bevor wir nach Wilmington kamen. Nein, er wird es wohl von einem von Lillingtons Bediensteten erfahren haben. Ich hatte gedacht, wir wären einigermaßen sicher, weil wir in Cross Creek sein würden, bevor jemand von den Steinen erfährt. Aber irgendjemand hat geplaudert – ein Lakai, oder vielleicht die Schneiderin, die dein Kleid abgeändert hat.«
Sein Gesicht war äußerlich ruhig, doch das war es immer, wenn er starke Gefühle verbarg. Ein plötzlicher Windstoß fuhr von der Seite über das Deck – der Regen war im Anmarsch. Der Wind peitschte Jamie die Haare übers Gesicht, und er strich die dichten Locken zurück.
»Tut mir leid um deinen anderen Ring«, sagte er einen Augenblick später.
»Oh. Es ist –« Ich hatte sagen wollen: »Es ist nicht so schlimm«, doch die Worte blieben mir im Hals stecken, erstickt von der plötzlichen Erkenntnis des Verlustes.
Ich hatte diesen Goldring fast dreißig Jahre lang getragen, als Zeichen eines Versprechens, das ich gemacht, gebrochen, erneuert und von dem ich zuletzt losgesprochen worden war. Ein Zeichen meiner Ehe, meiner Familie, ein Zeichen, das für einen Großteil meines Lebens stand. Und die letzte Spur von Frank – den ich trotz allem geliebt hatte.
Jamie sagte nichts, sondern nahm meine linke Hand in die seine, hielt sie fest und strich mir mit dem Daumen über die Fingerknöchel. Ich schwieg ebenfalls. Ich seufzte tief und drehte das Gesicht nach steuerbord. Die Bäume am Ufer zitterten erwartungsvoll im auffrischenden Wind, und ihre Blätter rauschten so laut, dass sie unser Schiff übertönten.
Ein kleiner Tropfen traf meine Wange, doch ich bewegte mich nicht. Meine Hand lag regungslos und weiß in der seinen und sah ungewohnt zerbrechlich aus – es erschreckte mich, sie so zu sehen.
Ich hatte meinen Händen schon immer große Aufmerksamkeit geschenkt. Sie waren meine Werkzeuge, meine Tastinstrumente, in ihnen verbanden sich die Sanftheit und die Kraft meiner Heilkunst. Sie waren von einer gewissen Schönheit, die ich auf eine distanzierte Weise bewunderte, doch es war die Schönheit der Kraft und der Kompetenz, die Gewissheit ihrer Stärke, die mir an ihnen gefiel.