»Ich bekomme keine Luft«, jammerte er.
»Wenn du atmest, tut es weh. Halt still. Wo hast du denn so kämpfen gelernt? Auch von Dougal?«
»Nein.« Er zuckte zusammen, als ich ihm die verletzte Augenbraue mit Essig betupfte. »Mein Vater hat es mir beigebracht.«
»Tatsächlich? Was war er? Meister im Boxen?«
»Was ist denn ein Meister im Boxen? Nein, er hatte eine Farm. Und war Pferdezüchter.« Jamie holte zischend Luft, als ich jetzt sein aufgeschrammtes Schienbein mit dem Essig behandelte.
»Als ich neun oder zehn war, hat er gesagt, er geht davon aus, dass ich so groß werde wie die Verwandten meiner Mutter, also müsste ich lernen, wie man kämpft.« Er atmete jetzt freier und hielt mir die Hand hin, damit ich sie mit Ringelblumensalbe einreiben konnte.
»Er hat gesagt: ›Wenn du groß und kräftig bist, wird die Hälfte der Männer Angst vor dir haben, und die andere Hälfte wird sich mit dir messen wollen. Wenn du einen zu Boden schlägst, wird dich der Rest in Ruhe lassen. Aber du musst lernen, schnell und gezielt zu agieren, sonst kämpfst du dein Leben lang.‹ Also ist er mit mir in die Scheune gegangen und hat mich ins Stroh gehauen, bis ich gelernt habe zurückzuschlagen. Au! Das beißt.«
»Fingernagelkratzer sind heimtückisch«, klärte ich ihn auf und betupfte ihm geschäftig den Hals. »Vor allem, wenn sich der Besitzer der Fingernägel nicht regelmäßig wäscht. Und ich glaube nicht, dass der Bursche mit den fettigen Haaren auch nur einmal im Jahr badet. ›Schnell und gezielt‹ ist nicht ganz die Beschreibung, die ich für das benutzen würde, was du vorhin getan hast, aber es war auf jeden Fall beeindruckend. Dein Vater wäre stolz auf dich.«
Es war sarkastisch gemeint, und ich war überrascht, einen Schatten über sein Gesicht huschen zu sehen.
»Mein Vater ist tot«, sagte er ausdruckslos.
»Oh, das tut mir leid.« Ich reinigte den Rest der Wunde und sagte dann leise: »Trotzdem. Er
Er antwortete nicht, doch er deutete ein Lächeln an. Er kam mir plötzlich furchtbar jung vor, und ich fragte mich, wie alt er wohl war. Ich war gerade im Begriff zu fragen, als ein Hüsteln hinter uns einen Besucher ankündigte.
Es war der drahtige kleine Mann namens Murtagh. Er warf einen belustigten Blick auf Jamies Stützverband und warf einen kleinen Waschlederbeutel durch die Luft. Jamie hob die Hand und fing ihn mühelos. Der Beutel klimperte leise.
»Und was ist das?«, fragte er.
Murtagh zog eine seiner schütteren Augenbrauen hoch. »Dein Anteil am Wettgewinn, was denn sonst?«
Jamie schüttelte den Kopf und hob den Beutel, um ihn zurückzuwerfen.
»Ich habe doch gar nicht mitgewettet.«
Murtagh gebot ihm mit erhobener Hand Einhalt. »Du hast aber den Hauptteil der Arbeit gemacht. Du bist im Moment ziemlich beliebt, zumindest bei denen, die auf dich gesetzt haben.«
»Vermutlich nur nicht bei Dougal«, warf ich ein.
Murtagh war einer dieser Männer, die immer etwas verblüfft aussahen, wenn sie feststellten, dass Frauen Stimmen hatten, doch er nickte höflich.
»Aye, das stimmt. Ich glaube aber nicht, dass du dir deswegen Sorgen machen musst«, sagte er zu Jamie.
»Nicht?« Die beiden Männer wechselten einen Blick, dessen Botschaft ich nicht verstand. Jamie atmete sacht durch die Zähne aus und nickte langsam vor sich hin.
»Wann?«, fragte er.
»Eine Woche. Vielleicht zehn Tage. In der Nähe eines Ortes namens Lag Cruime. Du weißt, wo?«
Jamie nickte erneut und sah so zufrieden aus wie schon lange nicht mehr. »Ich weiß, wo.«
Ich blickte von einem Gesicht zum anderen, beide verschlossen und geheimnistuerisch. Murtagh hatte also etwas herausgefunden. Vielleicht etwas, das mit dem mysteriösen »Horrocks« zu tun hatte? Ich zuckte mit den Schultern. Ganz gleich, warum, anscheinend waren Jamies Tage als Ausstellungsstück vorüber.
»Dougal könnte ja stattdessen immer noch Stepp tanzen«, schlug ich vor.
»Häh?« Das Geheimnistuerische in ihren Mienen wich der Verblüffung.
»Ach, egal. Gute Nacht.« Ich griff nach dem Behälter mit meiner medizinischen Ausrüstung und ging ebenfalls schlafen.
Kapitel 12
Der Garnisonskommandeur
Allmählich näherten wir uns Fort William, und ich begann, ernsthaft darüber nachzudenken, wie meine Vorgehensweise aussehen sollte, wenn wir dort eintrafen.
Vermutlich hing es am meisten davon ab, wie sich der Garnisonskommandeur verhielt. Wenn er glaubte, dass ich eine Dame in Schwierigkeiten war, würde er mir ja vielleicht Begleitschutz zur Küste und zu meinem angeblichen Schiff nach Frankreich geben.
Angesichts der Tatsache, dass ich in Begleitung der MacKenzies auftauchte, war es aber genauso gut möglich, dass er mir argwöhnisch gegenübertrat. Allerdings war ich eindeutig keine Schottin; er würde mich doch wohl nicht für eine Spionin halten? Denn das war es allem Anschein nach, was Colum und Dougal dachten – dass ich für die Engländer spionierte.