Kapitel 10
Die Eidzeremonie
Die nächsten beiden Tage verliefen sehr turbulent; es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, und die letzten Vorbereitungen wurden getroffen. Meine medizinische Hilfe war kaum noch gefragt; die Opfer der Lebensmittelvergiftung waren wieder auf den Beinen, und alle anderen schienen viel zu beschäftigt zu sein, um krank zu werden. Abgesehen davon, dass sich die Jungen, die das Brennholz brachten, reihenweise Splitter in die Finger rammten und dass unter den vielbeschäftigten Küchenmägden eine ähnliche Plage von Brandblasen ausbrach, gab es auch keine Unfälle.
Meine Aufregung wuchs mit jeder Minute, denn heute Abend war es so weit. Mrs. Fitz hatte mir erzählt, dass sich alle kampffähigen Männer des MacKenzie-Clans heute Abend im großen Saal sammeln würden, um Colum ihren Treueeid zu schwören. Solange sich eine derart bedeutende Zeremonie in der Burg abspielte, würden die Stallungen unbeobachtet sein.
Während ich in der Küche oder in den Gärten geholfen hatte, hatte ich genügend Proviant für mehrere Tage beiseiteschaffen können, so dachte ich zumindest. Ich hatte zwar keine Feldflasche, hatte mir aber aus einem der schwereren Glasgefäße im Sprechzimmer etwas Ähnliches konstruiert. Colum verdankte ich stabile Schuhe und einen warmen Umhang, und bei meinem Nachmittagsbesuch im Stall hatte ich mir ein gutes Pferd ausgesucht. Zwar hatte ich kein Geld, doch meine Patienten hatten mir eine Handvoll Kleinkram geschenkt, Haarbänder und kleine Schnitzereien oder Schmuckstücke. Falls es nötig wurde, konnte ich diese also vielleicht eintauschen, wenn ich etwas brauchte.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken, Colums Gastfreundschaft und die Freundschaft der Burgbewohner zu missbrauchen, indem ich ohne ein Wort des Abschieds ging, doch was hätte ich schon sagen können? Ich hatte zwar eine Weile darüber nachgedacht, aber am Ende hatte ich beschlossen, einfach zu gehen. Ich hatte ja nicht einmal Papier zum Schreiben und wollte es nicht riskieren, in Colums Wohnräumen danach zu suchen.
Als es dämmerte, näherte ich mich vorsichtig dem Stall. Ich lauschte zwar mit gespitzten Ohren nach Anzeichen menschlicher Gegenwart, doch anscheinend waren alle oben in der Burg und bereiteten sich auf die Zeremonie vor. Die Stalltür klemmte, gab aber auf leichten Druck nach, und ihre Lederscharniere ließen sie lautlos nach innen schwingen.
Die Luft im Stall war warm und von den leisen Geräuschen ruhender Pferde erfüllt. Außerdem war es hier pechschwarz. Die wenigen Fenster, die zur Belüftung dienten, waren enge Schlitze, zu klein, um den schwachen Sternenschein einzulassen. Mit ausgestreckten Händen schlurfte ich langsam über das Stroh in den Hauptteil des Stalls.
Ich tastete mich behutsam vor, auf der Suche nach einer Boxenwand, an der ich mich entlangbewegen konnte. Meine Hände fanden nichts, doch meine Schienbeine stießen gegen ein festes Hindernis auf dem Boden, und ich fiel der Länge nach hin und stieß einen Schreckensruf aus, der im Gebälk des alten Steingemäuers widerhallte.
Das Hindernis wälzte sich mit einem erschrockenen Fluch herum und packte mich fest bei den Armen. Ich fand mich an den kräftigen Körper eines Mannes gepresst wieder, dessen Atem mich im Ohr kitzelte.
»Wer seid Ihr?«, keuchte ich und warf mich zurück. »Und was macht Ihr hier?« Als er meine Stimme hörte, ließ der unsichtbare Angreifer los.
»Dasselbe könnte ich dich auch fragen, Sassenach«, hörte ich Jamie MacTavishs tiefe Stimme leise, und erleichtert entspannte ich mich ein wenig. Es raschelte im Stroh, und er setzte sich.
»Obwohl ich es vermutlich erraten könnte«, fügte er trocken hinzu. »Was meinst du, wie weit du kommen würdest, Kleine – in einer dunklen Nacht auf einem fremden Pferd –, wenn dir morgen früh der halbe Clan auf den Fersen ist?«
Ich fühlte mich ziemlich kleinlaut, wollte mir aber keine Blöße geben.
»Mir wäre niemand auf den Fersen. Sie sind alle oben in der Burg, und wenn auch nur jeder Fünfte von ihnen morgen so nüchtern ist, dass er stehen kann, von reiten ganz zu schweigen, würde mich das
Lachend stand er auf und reichte mir die Hand, um mir aufzuhelfen. Er strich mir das Stroh von der Rückseite meines Rockes, wobei er mit etwas mehr Nachdruck vorging, als ich unbedingt notwendig fand.
»Nun, das hast du dir ja wirklich gut überlegt, Sassenach«, sagte er und klang dabei ein wenig überrascht, dass ich dazu imstande war. »Zumindest wäre es so«, fügte er hinzu, »wenn Colum nicht Wachtposten rings um die Burg aufgestellt und im Wald verteilt hätte. Er würde die Burg wohl kaum ungeschützt lassen, wenn sich die kampffähigen Männer des ganzen Clans darin befinden. Stein brennt zwar nicht so gut wie Holz, aber trotzdem …«