Ich verließ die Burg und schlenderte bergab auf die Stallungen zu. Ein bisschen nette, nicht menschliche, nicht sprechende, nicht blutende Gesellschaft würde mir guttun. Vielleicht fand ich ja außerdem Jamie, wie auch immer sein Nachname war, und konnte noch einmal versuchen, mich dafür zu entschuldigen, dass ich ihn in die Eidzeremonie verwickelt hatte. Natürlich hatte er sich tapfer geschlagen, doch er wäre ja nie von sich aus dort gewesen. Und was die Gerüchte betraf, die Rupert jetzt vermutlich über unsere angebliche Liebelei verbreitete … daran dachte ich lieber erst gar nicht.
Was meine eigene Lage betraf, so dachte ich daran lieber auch nicht, doch früher oder später würde ich es tun müssen. Nachdem es mir so spektakulär misslungen war, zu Beginn der Clanzusammenkunft zu fliehen, fragte ich mich, ob meine Chancen an ihrem Ende vielleicht besser standen. Zwar würden die meisten Pferde gemeinsam mit den Besuchern verschwinden. Doch die Pferde aus der Burg blieben schließlich da. Und mit etwas Glück würde man es für einen Zufallsdiebstahl halten, wenn eines davon verschwand; es hielten sich wahrhaftig genug zwielichtige Gestalten in der Nähe der Burg auf. Und im Wirrwarr des allgemeinen Aufbruchs würde es bestimmt einige Zeit dauern, bis jemand merkte, dass ich fort war.
Ich schlenderte am Koppelzaun entlang und dachte über mögliche Fluchtwege nach. Das Problem war, dass ich nur eine sehr vage Vorstellung davon hatte, wo ich war und wohin ich von hier aus wollte. Und da mich dank der Tatsache, dass ich sie bei den Wettspielen verarztet hatte, jetzt praktisch alle MacKenzies zwischen Leoch und der Territorialgrenze kannten, würde ich nicht nach dem Weg fragen können.
Plötzlich fragte ich mich, ob Jamie Colum oder Dougal von meinem gescheiterten Fluchtversuch am Abend der Eidzeremonie erzählt hatte. Keiner der beiden hatte mich darauf angesprochen; vermutlich also nicht.
Es standen keine Pferde auf der Koppel. Also wandte ich mich dem Stall zu und schob die Tür auf – woraufhin mir fast das Herz stehenblieb, weil ich Jamie und Dougal Seite an Seite auf einem Heuballen sitzen sah. Sie sahen fast genauso verblüfft über mein Auftauchen aus, wie ich es über ihre Gegenwart war. Doch sie erhoben sich höflich und luden mich ein, mich zu ihnen zu setzen.
»Schon gut«, sagte ich und wich zur Tür zurück. »Ich wollte Euer Gespräch nicht unterbrechen.«
»Nicht doch«, wehrte Dougal ab, »was ich gerade zu Jamie gesagt habe, betrifft Euch ebenfalls.«
Ich warf Jamie einen raschen Blick zu, den er mit der Spur eines Kopfschüttelns beantwortete. Also hatte er Dougal nichts von meinem Fluchtversuch erzählt.
Ich setzte mich, behielt Dougal jedoch argwöhnisch im Auge. Ich hatte die kleine Szene im Korridor am Abend der Eidzeremonie nicht vergessen, auch wenn er sie nicht mehr erwähnt hatte.
»Ich breche in zwei Tagen von hier auf«, sagte er abrupt. »Und euch beide nehme ich mit.«
»Wohin denn?«, fragte ich verblüfft. Mein Herz begann schneller zu schlagen.
»Über das Land der MacKenzies. Colum reist ja nicht, also ist es an mir, die Pächter und Gefolgsleute zu besuchen, die nicht zum
»Aber wieso ich? Wieso wir, meine ich?«, wollte ich wissen.
Er überlegte einen Moment, ehe er antwortete. »Oh, Jamie kann gut mit Pferden umgehen. Und was Euch betrifft, Mistress, so hält es Colum für klug, wenn ich Euch nach Fort William mitnehme. Der dortige Kommandeur kann Euch vielleicht … behilflich sein, Eure Familie in Frankreich zu finden.« Oder
»Also schön«, sagte ich gelassen. »Das hört sich doch gut an.« Äußerlich gelassen – doch innerlich war ich von Jubel erfüllt. Was für ein Glück! Jetzt brauchte ich gar nicht zu versuchen, aus der Burg zu fliehen. Dougal würde mich den größten Teil des Weges mitnehmen. Und von Fort William aus würde ich den Weg problemlos selbst finden. Zum Craigh na Dun. Zu dem Steinkreis. Und mit etwas Glück zurück nach Hause.
Dritter Teil
Kapitel 11
Plauderei mit einem Anwalt
Zwei Tage später ritten wir bei Tagesanbruch zu den Toren der Burg hinaus. Zu zweit, zu dritt und zu viert, begleitet von Abschiedsrufen und den Lauten der Wildgänse auf dem See, suchten sich die Pferde vorsichtig den Weg über die steinerne Brücke. Hin und wieder blickte ich mich um, bis die massige Burg schließlich hinter einem Vorhang aus schimmerndem Nebel verschwand. Der Gedanke, dass ich weder diesen abweisenden Steinhaufen noch seine Bewohner je wiedersehen würde, erfüllte mich mit einem seltsamen Gefühl des Bedauerns.