»Es herrscht totales Chaos. Wir haben Leute verloren, Joona. Das ist doch Wahnsinn.«
»Björn Almskog?«, erkundigt sich Joona.
»Ist noch nicht gefunden worden, aber … es ist unmöglich, Informationen zu bekommen, wir wissen nichts.«
»Ist der Täter verschwunden?«
»Wir schnappen ihn uns, es ist eine kleine Insel. Unsere Leute von der Antiterrortruppe sind auf dem Boden und in der Luft im Einsatz, Boote von der Küstenwache und der Wasserschutzpolizei sind unterwegs.«
»Gut«, sagt Joona.
»Du glaubst nicht, dass wir ihn schnappen?«
»Wenn ihr ihn nicht sofort erwischt habt, ist er inzwischen wahrscheinlich fort.«
»Ist das meine Schuld?«
»Petter«, sagt Joona sanft, »wenn du nicht so schnell gehandelt hättest, wäre Penelope Fernandez jetzt tot … und ohne sie hätten wir nichts, keine Verbindung zu dem Foto, keine Zeugin.«
Eine Stunde später untersuchen zwei Ärzte vom Karolinska-Krankenhaus Penelope Fernandez in einem geschützten Raum unter dem Gebäude des Landespolizeiamts. Sie versorgen ihre Wunden, geben ihr Beruhigungsmittel und führen ihr Nährstoffe und Flüssigkeit zu.
Petter Näslund teilt Landeskriminalchef Carlos Eliasson mit, dass die sterblichen Überreste der beiden Kollegen Lennart Johansson und Göran Sjödin identifiziert worden sind. In den Trümmern des Polizeiboots ist darüber hinaus eine weitere Leiche gefunden worden, wahrscheinlich ist es Björn Almskog. Ossian Wallenberg ist tot vor seinem Haus gefunden worden, und Taucher sind dorthin unterwegs, wo der Hubschrauber des Seenotrettungsdienstes abgestürzt ist. Petter geht davon aus, dass sämtliche Insassen umgekommen sind.
Die Polizei hat den Täter nicht gefasst, aber Penelope Fernandez lebt.
Man senkt die Flagge vor dem Landespolizeiamt auf Halbmast, und Polizeipräsidentin Margareta Widding und der Landespolizeichef geben im Presseraum hinter den Glaswänden im Erdgeschoss bedrückt eine Pressekonferenz.
Kriminalkommissar Joona Linna nimmt an dem Treffen mit den Journalisten nicht teil, stattdessen nehmen er und Saga Bauer den Aufzug in die unterste Etage, um Penelope Fernandez zu treffen. Sie hoffen, die Gründe dafür zu erfahren, was geschehen ist.
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Fünf Etagen unter dem modernsten Teil des Landespolizeiamts befindet sich ein Gebäudetrakt mit zwei Wohnungen, acht Gästezimmern und zwei Schlafsälen. Die Abteilung wurde eingerichtet, um in Krisensituationen, im Falle eines Ausnahmezustands oder im Katastrophenfall für die Polizeiführung die Möglichkeit einer sicheren Unterkunft zu garantieren. Seit zehn Jahren werden diese Gästezimmer zudem bei außergewöhnlichen Bedrohungen zum Schutz von Zeugen genutzt.
Penelope Fernandez liegt auf dem Krankenhausbett und spürt die Kühle in ihren Arm eindringen, als die Tropfgeschwindigkeit erhöht wird.
»Wir führen Ihnen Flüssigkeit und flüssige Nahrung zu«, erläutert die Ärztin Daniella Richards.
Mit sanfter Stimme erläutert sie anschließend, was sie tut, während sie die Kanüle in Penelopes Armbeuge festklebt.
Penelopes Wunden sind gesäubert und verbunden worden, der verletzte linke Fuß ist mittlerweile bandagiert und genäht worden, die Risswunde am Rücken gewaschen und getaped, während eine tiefe Wunde an der Hüfte mit acht Stichen genäht werden musste.
»Ich würde ihnen gegen die Schmerzen gerne etwas Morphium geben.«
»Mutter«, flüstert Penelope und befeuchtet ihre Lippen. »Ich möchte mit meiner Mutter sprechen.«
»Das verstehe ich«, antwortet Daniella. »Ich werde es weitergeben.«
Warme Tränen laufen Penelopes Wangen herab, in Haare und Ohren. Sie hört, wie die Ärztin eine Krankenschwester bittet, eine Injektion von 0,5 Milliliter Morphium-Skopolamin vorzubereiten.
Der Raum sieht aus wie ein gewöhnliches Krankenhauszimmer, ist möglicherweise jedoch ein wenig gepflegter. Auf dem Nachttisch steht ein einfacher Blumenstrauß, an den gelb gestrichenen Wänden hängen helle Bilder. Ein hübsches Bücherregal aus hellem Birkenholz steht voll gelesener Bücher. An diesem Ort haben Menschen unübersehbar viel Zeit zum Lesen gehabt. Der Raum hat keine Fenster, aber hinter einem Vorhang brennt eine Lampe, um von dem Gefühl abzulenken, dass man sich tief unter der Erde in einem Bunker befindet.
Daniella Richards erklärt Penelope freundlich, dass man sie jetzt in Ruhe lassen wird, sie aber jederzeit auf den leuchtenden Alarmknopf drücken kann, falls sie Hilfe benötigen sollte.
»Für den Fall, dass Sie etwas fragen wollen oder einfach ein wenig Gesellschaft brauchen, wird die ganze Zeit jemand hier sein«, sagt sie.
Penelope Fernandez bleibt allein in dem hellen Zimmer. Die warme Ruhe des Morphiums breitet sich in ihrem Körper aus und zieht sie in einen angenehmen Schlaf herab, und sie schließt die Augen.