Die Begriffe ‚Evolution‘ und ‚Revolution‘ scheinen unaufl"osbar verbunden, gleichsam oppositionelle Br"uder zu sein. Zudem mutet der gemeinte Gegensatz von ‚langsamer, nat"urlicher‘ und ‚gewaltsamer, abrupter Ver"anderung‘ so universell an, dass er "uberall anwendbar erscheint und zum typographischen Spiel „(R)Evolution“ geradezu einl"adt. Davon zeugt die im Internet umworbene Warenwelt vielfach: Cocktailgl"aser, Turnschuhe, ein australisches Mountainbike-Magazin, ein Waschmaschinentyp und eine ewige Jugend verheissende Gesichtscreme – all das wird mit dem Schlagwort „(R)Evolution“ umworben.1
Den Russischen Germanistentag 2017 ebenfalls unter das Thema „(R)Evolution“ zu stellen zeugt jedoch nicht davon, dass die russische Germanistik im Revolutionsjahr typographischen Spielen verfallen w"are, sondern lenkt unsere Aufmerksamkeit darauf, dass beide Begriffe auch zentrale Ordnungskategorien der Literaturgeschichtsschreibung und der Literaturtheorie sind.
Dazu einige einleitende "Uberlegungen.
So verf"uhrerisch das Wortspiel die beiden Begriffe in Verbindung setzt, so unterschiedlich nehmen sie sich doch aus, wenn man ihre Begriffsgeschichte betrachtet.
Auch wenn uns der Begriff ‚Revolution‘ [vgl. DFWB1
1977, III/412– 4182] heute g"angig "uber die Lippen kommt – zumal im Jahr der Erin-nerung an 1917 —, l"asst er sich doch kaum aus philosophisch-ideengeschichtlichen Traditionen herleiten. Nat"urlich ist das Wort ‚revolutio‘ alt, doch trug es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ganz andere Bedeutungen. Karl Ernst GeorgesSeit dem Ende des 17. Jahrhunderts finden sich Begriffsverwendungen, die die englische und spanische Variet"at von ‚Revolution‘ mit geschichtlichen Ereignissen in Verbindung bringen. Ein fr"uher Beleg f"ur ‚glorious revolution‘ stammt von 1696 [vgl. Beverley 1696]. Doch erhielt die englische Revolution von 1688 gerade deshalb das Epitheton ‚glorious‘, weil sie eben nicht ‚revolution"ar‘ im heutigen Sinne, also nicht schlagartig, gewaltsam oder gar blutig verlief. Revolution"ar wurde der Begriffsinhalt von ‚Revolution‘ erst am Ende des 18. Jahrhunderts im Kontext der Franz"osischen Revolution und meinte nunmehr ‚gewaltsamer, totaler Umsturz‘, ‚Staatsumw"alzung‘, ‚pl"otzlicher Bruch mit Tradition und Geschichte‘. Friedrich Schlegel gilt 1798 die Franz"osische Revolution in den
Mit dem Begriff ‚Revolution‘ im modernen Sinne verbindet sich also kein aus ideengeschichtlicher Tradition abgeleitetes Deutungskonzept. Der Begriff reagiert auf die aktuelle Zeitgeschichte, ist als solcher deskriptiv, nicht interpretierend, auch wenn sich unterschiedliche Wertungstendenzen damit verbinden k"onnen.