Vincents Auto schlängelt sich auf den Krankenhausparkplatz. Die Sonne strahlt. An diesem Punkt brauchen die Besucher Schneid, um mit zugeschnürter Kehle die letzten Meter zu überwinden, die mich von der Welt trennen: die automatisch aufgehenden Glastüren, den Aufzug Nr. 7 und den schrecklichen kleinen Flur, der zum Zimmer 119 führt. Durch die offenstehenden Türen sieht man nur Liegende und ans Bett Gefesselte, die das Schicksal an die äußersten Grenzen des Lebens zurückgeworfen hat. Bei diesem Anblick bleibt manchen die Luft weg. Sie müssen erst einmal ein bißchen herumlaufen, ehe sie mit festerer Stimme und weniger feuchten Augen bei mir ankommen. Wenn sie sich endlich getrauen, könnte man meinen, es seien Taucher mit Atemnot.
Ich weiß sogar von welchen, die hier vor meiner Tür die Kräfte verließen: sie haben kehrtgemacht und sind nach Paris zurückgefahren.
Vincent klopft und tritt schweigend ein. Durch die Blicke der anderen habe ich mich so daran gewöhnt, daß ich die kleinen Funken des Entsetzens nicht mehr wahrnehme, die in seinen Augen aufscheinen. Oder mir schaudert jedenfalls nicht mehr so davor. Mit meinen von der Lähmung atrophierten Gesichtszügen versuche ich etwas aufzusetzen, was ein Begrüßungslächeln sein soll. Diese Grimasse erwidert Vincent mit einem Kuß auf die Stirn. Sein roter Haarschopf, seine in viele Falten gelegte Miene, seine untersetzte Gestalt, die von einem Fuß auf den anderen tänzelt, verleihen ihm das komische Aussehen eines walisischen Gewerkschaftlers, der einen Kumpel, das Opfer eines Schlagwetters, besuchen kommt. Mit halb gesenkter Deckung kommt Vincent wie ein Boxer der Klasse Leichtschwergewicht näher. Am Tag von Mithra-Grandchamp, nach dem verhängnisvollen Einlauf ins Ziel, hat er nur folgendes von sich gegeben: »Arschlöcher. Wir sind richtige Arschlöcher. In der Redaktion nehmen sie uns mit der Brechstangeauseinander.« Das war damals sein Lieblingsausdruck.
Um ehrlich zu sein, ich hatte Mithra-Grandchamp vergessen.
Diese Geschichte ist mir gerade erst wieder eingefallen und hinterläßt eine doppelt schmerzliche Spur. Das Heimweh nach einer entschwundenen Vergangenheit und vor allem die Reue über verpaßte Gelegenheiten. Mithra-Grandchamp, das sind die Frauen, die man nicht geliebt hat, die Chancen, die man nicht ergriffen hat, die Glücksmomente, die man vorüberziehen ließ.
Heute kommt es mir so vor, als werde mein ganzes Leben nur eine Verkettung solcher kleiner Fehlschläge gewesen sein. Ein Rennen, dessen Ausgang man kennt, aber bei dem man unfähig ist, den Gewinn einzustreichen. Apropos Gewinn, wir haben uns aus der Affäre gezogen, indem wir allen ihre Einsätze zurückgegeben haben.
Die Entenjagd
Über die mannigfachen Unannehmlichkeiten hinaus, die das Locked-in-Syndrom mit sich bringt, leide ich an einer schweren Störung meiner Lauscher. Das rechte Ohr ist völlig verstopft, und links verstärkt und verzerrt meine Eustachische Röhre alle Töne jenseits von zwei Meter fünfzig. Wenn ein Flugzeug über den Strand fliegt und das Werbeband des hiesigen Vergnügungsparks hinter sich herzieht, habe ich ein Gefühl, als hätte man mir eine Kaffeemühle auf das Trommelfell gepfropft. Aber das ist nur ein vorübergehendes Getöse. Viel ätzender ist der dauernde Krach aus dem Flur, wenn jemand trotz meiner Bemühungen, alle für das Problem meiner Ohren zu sensibilisieren, die Tür nicht zugemacht hat.