Auf meinem Schreibtisch liegt nur eine Nachricht, aber was für eine! Ich soll dringend Simone V. zurückrufen, die frühere Gesundheitsministerin, die ehemals populärste Frau Frankreichs, die auf Lebenszeit die oberste Stufe des imaginären Pantheons der Zeitschrift gepachtet hat. Solche Anrufe kommen nie zufällig, und ich erkundige mich erst einmal, was wir gesagt oder getan haben könnten, um eine Reaktion bei dieser fast göttlichen Persönlichkeit hervorzurufen. »Ich glaube, sie ist nicht sehr zufrieden mit ihrem Foto in der letzten Nummer.« Meine Assistentin spielt die Sache herunter. Ich sehe mir die besagte Nummer an und finde das inkriminierte Foto, eine Montage, die unser Idol eher lächerlich macht, als daß sie es zur Geltung bringt. Das ist eines der Mysterien unseres Berufs. Man arbeitet wochenlang an einem Thema, es geht wieder und wieder durch die erfahrensten Hände, und keiner sieht den Schnitzer, den ein journalistischer Lehrling nach vierzehn Tagen Praktikum erkennen würde. Ich lasse einen wahren telefonischen Sturm über mich ergehen. Da sie der Meinung ist, die Zeitschrift schmiede seit Jahren ein Komplott gegen sie, habe ich die größten Schwierigkeiten, sie davon zu überzeugen, daß ihr dort im Gegenteil ein regelrechter Kult geweiht wird. Gewöhnlich obliegen diese »Retuschen« Anne-Marie, der Redaktionsleiterin, die im Umgang mit Berühmtheiten die Geduld einer Spitzenklöpplerin an den Tag legt, während ich, was die Diplomatie angeht, mehr Ähnlichkeit mit Käpt'n Haddock[5]
habe als mit Henry Kissinger. Als wir nach einer Dreiviertelstunde auflegen, habe ich das Gefühl, nur mehr eine Rolle Teppichboden zu sein.Obwohl es zum guten Ton gehört, sie »ein bißchen langweilig« zu finden, würden die Damen und Herren Chefredakteure um nichts in der Welt eines jener Mittagessen verpassen, die Geronimo, auch Louis XL und von seinen Anhängern Ayatollah genannt, veranstaltet, um »nach dem Stand der Dinge zu sehen«. Dort, in der obersten Etage, im weitläufigen Speisesaal, der der höchsten Direktion des Verlagshauses vorbehalten ist, verbreitet der große Chef in kleinen Dosen die Zeichen, nach denen man sich die Beliebtheit seiner Untertanen bei ihm ausrechnen kann.
Zwischen der mit samtener Stimme vorgetragenen Huldigung und der schroff wie ein Klauenhieb erteilten Abfuhr verfügt er über ein ganzes Repertoire von Mimiken, Grimassen und Bartkratzen, das wir im Lauf der Jahre zu entziffern gelernt haben. An dieses letzte Essen erinnere ich mich kaum, außer daß ich zur Henkersmahlzeit Wasser getrunken habe. Als Hauptgang gab es, glaube ich, Rind. Vielleicht haben wir uns mit dem Rinderwahnsinn infiziert, von dem man damals noch nicht sprach. Da er eine Inkubationszeit von fünfzehn Jahren hat, können wir es in Ruhe abwarten. Der einzige angekündigte Tod war der Mitterrands, dessen Chronik Paris in Atem hielt.
Würde er das Wochenende überleben? Tatsächlich blieb ihm noch ein ganzer Monat. Das wirklich Unangenehme an diesen Essen ist, daß sie kein Ende nehmen. Als ich meinen Fahrer wieder treffe, fällt schon der Abend über die Glasfassade herein. Um Zeit zu gewinnen, ging ich wie ein Dieb noch einmal in mein Büro, ohne mich von jemandem zu verabschieden. Trotzdem ist es schon nach vier.
»Wir werden in die Klemme geraten.«
»Tut mir leid.«
»Sie haben's auszubaden …« Einen Moment lang habe ich Lust, alles sausenzulassen: im Theater abzusagen, Théophiles Besuch zu verschieben, mich mit einem Becher Quark und einem Kreuzworträtsel unter meinem Federbett zu vergraben. Ich beschließe, dem Gefühl von Niedergeschlagenheit zu widerstehen, das mich an der Gurgel packt.
»Es wäre besser, nicht über die Autobahn zu fahren.«
»Wie Sie wollen …« So stark der BMW auch ist, er bleibt im Gewühl auf dem Pont de Suresnes hängen. Wir fahren an der Rennbahn von Saint-Cloud entlang, dann am
Es war ein Winternachmittag wie dieser. Bis man alles aufgenommen hatte, war es Abend geworden. Ein anderer Fahrer brachte uns nach Paris zurück. Hinten im Bus wurde mit zittrigen Stimmen