Nach eineinhalb Stunden Fahrt kommen wir an dem Haus an, in dem ich zehn Jahre gelebt habe. Nebel senkt sich über den großen Garten, der in der Zeit des Glücks von so vielen Rufen, so viel Gelächter widerhallte. Théophile erwartet uns, auf seinem Rucksack sitzend, fertig fürs Wochenende in der Diele. Ich würde gern telefonieren, um die Stimme von Florence, meiner neuen Lebensgefährtin, zu hören, aber sie wird jetzt wohl zum Sabbatgebet bei ihren Eltern sein. Ein einziges Mal habe ich diesem Ritual in einer jüdischen Familie beigewohnt. Das war hier, in Montainville, im Haus des alten tunesischen Arztes, der meine Kinder zur Welt gebracht hat.
Von da an wird alles unzusammenhängend. Mein Sehen trübt sich, und meine Gedanken geraten durcheinander. Ich setze mich trotzdem ans Steuer des BMW und konzentriere mich auf die rot-gelben Lichter des Armaturenbretts. Ich fahre im Zeitlupentempo und erkenne im Lichtstrahl der Scheinwerfer kaum die Kurven, die ich doch Tausende Male genommen habe. Ich fühle Schweiß auf meiner Stirn perlen, und als uns ein Auto entgegenkommt, sehe ich es doppelt. An der ersten Kreuzung fahre ich auf die Seite. Ich steige schwankend aus dem BMW. Ich kann kaum gerade stehen. Ich lasse mich auf den Rücksitz fallen. Ich habe nur eine fixe Idee: zurück ins Dorf zu fahren, wo auch meine Schwägerin Diane wohnt, die Krankenschwester ist. Halb bewußtlos, bitte ich Théophile, sie schnell zu holen, sobald wir vor ihrem Haus ankommen. Einige Sekunden später ist Diane da. Sie untersucht mich in weniger als einer Minute. Ihr Urteil lautet:
»Er muß in die Klinik. So schnell wie möglich.« Bis dorthin sind es fünfzehn Kilometer. Diesmal rast der Chauffeur wie ein Rennfahrer mit quietschenden Reifen los. Ich fühle mich äußerst merkwürdig, so als hätte ich einen LSD-Trip eingeworfen, und ich sage mir, daß solche Phantasien nicht mehr zu meinem Alter passen. Nicht einen Augenblick kommt mir der Gedanke, daß ich vielleicht im Begriff bin, zu sterben.
Auf der Straße nach Mantes brummt der BMW in den höchsten Tönen, und wir überholen eine ganze Schlange Autos, indem wir uns mit Hupen einen Weg bahnen. Ich will etwas sagen wie: »Wartet, es wird gleich wieder besser. Es lohnt nicht, einen Unfall zu riskieren«, aber kein Ton kommt aus meinem Mund, und mein unkontrollierbar gewordener Kopf wackelt hin und her. Die Beatles und ihr Song von heute morgen fallen mir wieder ein.
Jemand hat mir einmal gesagt, gute Autos erkenne man am Ton dieses Zuschlagens. Das Neonlicht der Flure blendet mich.
Im Aufzug überschütten mich Unbekannte mit Ermutigungen, und die Beatles machen sich an das Finale von A
Das Klavier, das aus dem sechzigsten Stock fällt. Bevor es aufschlägt, habe ich Zeit für einen letzten Gedanken. Ich muß im Theater absagen. Wir wären ohnehin zu spät gekommen.
Wir gehen morgen abend. Übrigens, wo ist eigentlich Théophile? Und ich versinke im Koma.
Der Neubeginn
Der Sommer geht zu Ende. Die Nächte werden kühler, und ich kuschele mich wieder unter die dicken blauen Decken mit dem Aufdruck »Krankenhäuser von Paris«. Jeder Tag bringt sein Teil bekannter Gesichter zurück, die die Ferienzeit ausgeklammert hatte: die für die Wäsche zuständige Frau, den Zahnarzt, den Postverteiler, eine Krankenschwester, die inzwischen Großmutter eines kleinen Thomas geworden ist, und den Pfleger, der sich im Juni an einem Bettgitter den Finger gebrochen hatte. Alle nehmen ihre vertrauten Gänge und Gewohnheiten wieder auf, und dieser erste Neubeginn im Krankenhaus nach den Ferien bestätigt mich in einer Gewißheit: Ich habe wirklich und wahrhaftig ein neues Leben begonnen, und es findet hier, zwischen diesem Bett, diesem Rollstuhl, diesen Fluren statt, und nirgendwo anders.
Ich schaffe es, das Lied vom Känguruh zu brummen, die Testhymne meiner logopädischen Fortschritte: