Nun sind wir fast am Ende des Wegs angelangt, und es bleibt mir nur noch, jenen Freitag, den 8. Dezember 1995 unseligen Angedenkens wachzurufen. Vom Beginn an hatte ich Lust, meine letzten Augenblicke als perfekt funktionierender Erdbewohner zu erzählen, aber ich habe es so lange aufgeschoben, daß mir jetzt, im Moment des Sprungs zurück in meine Vergangenheit, schwindlig wird. Ich weiß nicht mehr, wie ich damit anfangen soll, mit diesen bleiernen und nichtigen Stunden, die nicht greifbar sind, wie die Quecksilbertropfen aus einem zerbrochenen Thermometer. Die Worte entziehen sich. Wie soll man den biegsamen, warmen Körper des großen dunkelhaarigen Mädchens beschreiben, neben dem man zum letzten Mal erwacht, ohne ihn zu beachten, fast murrend. Alles war grau, trübe, entsagungsvoll: der Himmel, die Leute, die von mehreren Streiktagen der öffentlichen Verkehrsbetriebe erschöpfte Stadt. Gleich Millionen anderer Pariser nahmen Florence und ich diesen neuen Tag mit seiner Aussicht auf ein unentwirrbares Chaos mit leerem Blick und abgespanntem Gesicht wie Zombies in Angriff. Automatisch machte ich all diese einfachen Bewegungen, die mir heute wie ein Wunder erscheinen: sich rasieren, sich anziehen, eine Schale Kakao trinken. Seit Wochen hatte ich dieses Datum vereinbart, um das neue Modell einer deutschen Automobilfirma zu testen, deren Importeur mir den ganzen Tag lang einen Wagen mit Fahrer zur Verfügung stellte. Zur verabredeten Zeit wartet ein gestylter junger Mann vor dem Haus, an einen metallic-grauen BMW gelehnt. Durchs Fenster betrachte ich die so schwere, so stattliche große Limousine. Ich frage mich, wie ich mit meiner alten Jeansjacke in dieser Karosse für leitende Angestellte aussehen werde. Ich lehne die Stirn gegen die Scheibe, um die Kälte zu spüren. Florence streichelt zärtlich über meinen Nacken. Der Abschied ist flüchtig, unsere Lippen berühren sich kaum. Schon springe ich die Treppe hinunter, deren Stufen nach Wachs riechen. Das wird der letzte Geruch der alten Zeiten sein.
Zwischen zwei apokalyptischen Verkehrsmeldungen bringt das Radio einen Beatles-Song, A day in the life, ich wollte schon schreiben, einen »alten« Beatles-Song, ein echter Pleonasmus, da ihre letzte Aufnahme von 1970 stammt. Der BMW gleitet wie ein fliegender Teppich durch den Bois de Boulogne, ein sanfter, wollüstiger Kokon. Mein Chauffeur ist sympathisch. Ich lege ihm meine Pläne für den Nachmittag dar: meinen Sohn bei seiner Mutter, vierzig Kilometer außerhalb von Paris abholen.
Seit ich im Juli meine Familie verlassen habe, hatten Théophile und ich kein wirklich vertrautes Beisammensein, kein Gespräch unter Männern. Ich habe vor, ihn ins Theater, zu dem neuen Stück von Arias zu schleppen, dann in einer Brasserie an der Place Clichy ein paar Austern zu essen. Es ist beschlossene Sache, daß wir das Wochenende zusammen verbringen. Ich hoffe nur, der Streik macht keinen Strich durch diese Pläne.
Ich liebe das Arrangement dieses Stücks, wenn das ganze Orchester sich zum Crescendo steigert bis hin zur Explosion des Schlußtons. Es hört sich an wie ein Klavier, das aus dem sechzigsten Stock fällt. Jetzt sind wir im Viertel Levallois. Der BMW hält vor der Redaktion an. Ich verabrede mich mit dem Fahrer für 15 Uhr.