»Gut, dann sprechen Sie«, sagte die Telefonistin, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.
»Olivia? Bist du da?«
»Ja, ich bin hier.« Die Stimme klang brüchig und weit entfernt.
»Ich bin froh, daß du anrufst.«
»Ich dachte schon, du würdest den Anruf nicht annehmen.«
»Ich hab’ noch geschlafen. Bist du angekommen? In Las Vegas?«
»Ja«, antwortete sie tonlos. Das Wort hatte einen seltsamen unterdrückten Beiklang wie ein Brett, das auf einen Holzboden fiel.
»Und? Wie ist es? Wie geht es dir?«
Ihr Seufzer war so bitter, daß er fast wie ein trockenes Schluchzen klang. »Nicht so gut.«
»Nein?«
»Ich hab’ hier in der zweiten … nein, in der dritten Nacht, nachdem ich angekommen war, einen Kerl getroffen. Wir sind zusammen auf ‘ne Party gegangen, und … oooooh, das war sooo beschissen …«
»Drogen?« fragte er vorsichtig. Ihm war sehr bewußt, daß das hier ein Ferngespräch war und daß die Regierung ihre Ohren überall hatte.
»Drogen?« fragte sie ärgerlich zurück. »Natürlich waren es Drogen. Scheiße, ich war voll von dem Zeug und bin … ich glaube, ich bin vergewaltigt worden.«
Das klang so dramatisch, daß er verblüfft nachfragte:
»Was?«
»VERGEWALTIGT!« schrie sie so laut, daß der Hörer zitterte. »Das ist, wenn so ein dämlicher Kerl sich großtut und den Feierabendhippie spielt, der mal kurz seine Salami verstecken will, während du völlig aus dem Häuschen bist und dein Gehirn hinter dir die Wand runterrennt! Vergewaltigung, hast du überhaupt eine Ahnung, was das ist?«
»Ja, das weiß ich.«
»Einen Dreck weißt du.«
»Brauchst du Geld?«
»Warum fragst du mich ausgerechnet das? Ich kann dich nicht übers Telefon ficken. Ich kann dich nicht mal fernbedienen.«
»Ich hab’ etwas Geld übrig«, erklärte er. »Ich könnte es dir schicken, das ist alles. Das ist der einzige Grund.« Instinktiv sprach er ganz leise, nicht beruhigend, aber leise, damit sie sich konzentrieren und zuhören mußte.
»Ja, ja.«
»Hast du eine Adresse?«
»Postlagernd, das ist meine Adresse.«
»Hast du denn keine Wohnung?«
»Doch, doch. Ich hab’ zusammen mit einer anderen traurigen Schachtel ein Zimmer gefunden. Die Briefkästen sind alle kaputt. Vergiß es und behalt dein Geld. Ich hab’ hier einen Job. Scheiße, ich glaub’, ich werd’ ihn kündigen und zu-rückkommen. Fröhliche Weihnachten für mich.«
»Was ist das für ein Job?«
»Ich verkaufe Hamburger in einem Schnellimbiß. Die haben da ein paar Spielautomaten in der Halle stehen, und die Leute spielen die ganze Nacht daran und fressen ihre Hamburger. Kannst du dir das
Er hörte sich selbst sagen: »Laß dir noch einen Monat Zeit.«
»Was?«
»Laß dich nicht ins Bockshorn jagen. Wenn du so schnell aufgibst, wirst du nie wissen, warum du dorthin gegangen bist.«
»Hast du in der Highschool Football gespielt? Ich wette, du hast.«
»Ich war nicht mal der Wasserträger.«
»Woher weißt du dann so gut übers Leben Bescheid, ha?«
»Ich denke daran, mich umzubringen.«
»Du hast ja nicht mal … was hast du gesagt?«
»Ich spiele mit dem Gedanken, mich umzubringen.« Er sagte es ganz ruhig. Er dachte nicht mehr daran, daß dies ein Ferngespräch war und daß es Leute gab, die das Gespräch aus Spaß, oder Gott weiß warum, abhören konnten - die Telefongesellschaft, das Weiße Haus, die CIA oder das FBI. »Ich hab’ es immer wieder versucht, aber mir ist nichts geglückt. Ich glaube, ich bin schon zu alt, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Vor ein paar Jahren ist etwas in meinem Leben schiefgegangen, und ich wußte, daß es sehr schlimm war, aber ich wußte nicht, daß es für
»Hast du Krebs?« flüsterte sie.
»Ich glaube ja.«
»Dann geh ins Krankenhaus und laß …«
»Es handelt sich um Seelenkrebs.«
»Mann, du bist auf einem miesen Egotrip.«