Er sah Mary an. Ihre Blicke trafen sich einen Moment, und sie wirkte sehr ernst. Er dachte, daß sie drauf und dran sei, die unwiderruflichen Worte auszusprechen, und er hatte Angst. Doch in dem Augenblick sprang der Kuckuck aus der Uhr und verkündete, daß es halb zwei sei. Sie zuckten beide zusammen und lachten dann. Der Augenblick war vorüber.
Er stand auf, damit er nicht wiederkehren könnte. Von einem Kuckuck gerettet, dachte er. Das paßt.
»Ich muß gehen«, sagte er.
»Hast du eine Verabredung?«
»Ein Vorstellungsgespräch.«
»Wirklich?« fragte sie erfreut. »Eine Arbeit? Wann? Wo? Wieviel?«
Er schüttelte lachend den Kopf. »Es gibt mindestens ein Dutzend Bewerber, die ebenso gute Chancen haben wie ich. Ich werd’s dir sagen, wenn ich sie gekriegt habe.«
»Du bist eingebildet.«
»Klar.«
»Bart, was machst du zu Weihnachten?« Sie sah ernst und feierlich drein, und plötzlich kam ihm der Gedanke, daß es eine Weihnachtseinladung und nicht der Vorschlag zur Scheidung im neuen Jahr gewesen war, was sie vorhin beschäftigt hatte. Mein Gott! Fast wäre er in Lachen ausgebrochen.
»Ich bleibe zu Hause.«
»Du kannst herkommen«, sagte sie. »Wir werden beide allein sein.«
»Nein«, sagte er zögernd und dann mit fester Stimme:
»Nein. Zu Weihnachten geraten die Gefühle immer irgendwie außer Kontrolle. Lieber ein andermal.«
Sie nickte nachdenklich.
»Wirst du dann allein hier essen?« erkundigte er sich.
»Ich kann zu Bob und Janet gehen. Bist du wirklich sicher?«
»Ja.«
»Na, dann …« Aber sie wirkte erleichtert.
Sie gingen zur Haustür und gaben sich einen flüchtigen Kuß. -
»Ich ruf dich an«, sagte er.
»Ist gut.«
»Und grüß Bobby und Janet von mir.«
»Mach’ ich.«
Er war schon halb die Auffahrt hinuntergegangen, da rief sie ihm nach: »Bart! Bart, warte noch einen Augenblick.«
Er drehte sich beinahe ängstlich um.
»Das hätte ich fast vergessen«, sagte sie. »Wally Hamner hat mich angerufen und uns zu Silvester eingeladen. Ich habe für uns beide zugesagt, aber wenn du nicht willst …«
»Wally?« Er runzelte die Stirn. Walter Hamner war so ziemlich der einzige Freund, den sie auf der anderen Seite der Stadt hatten. Er arbeitete für eine städtische Werbeagentur. »Weiß er denn gar nicht, daß wir uns getrennt haben?«
»Doch, aber du kennst ja Wally. Solche Dinge jucken ihn nicht sehr.«
Das stimmte allerdings. Beim bloßen Gedanken an Wally mußte er schon lächeln. Walter, der immer damit drohte, seinen Reklamejob aufzugeben und sich als ernsthafter Graphiker zu versuchen. Er wollte obszöne Limericks und noch obszönere Parodien auf die heutige Alltagswelt entwerfen. Er war zweimal geschieden und jedesmal fürchterlich ausgenommen worden. Wenn man dem Klatsch glaubte, war er jetzt impotent, und er glaubte fest, daß der Klatsch in diesem Fall stimmte. Wie lange hatte er ihn wohl nicht mehr gesehen? Vier Monate? Sechs? Auf jeden Fall viel zu lange.
»Das könnte ganz lustig werden«, sagte er, doch dann erschreckte ihn ein Gedanke.
Sie sah es ihm wie früher sofort am Gesicht an und sagte schnell: »Es werden keine Leute von der Wäscherei kommen.«
»Er und Steve Ordner kennen sich.«
»Ach so,
»He, geh schnell ins Haus«, sagte er. »Du erfrierst mir ja, Dummchen.«
»Möchtest du hingehen?«
»Ich weiß es noch nicht. Ich werde darüber nachdenken.«
Er gab ihr noch einen Kuß, diesmal einen festeren, und sie erwiderte ihn. In solchen Augenblicken hätte er alles bereuen können - aber die Reue war weit, weit weg, ein rein theoretisches Bedürfnis.
»Fröhliche Weihnachten, Bart.« Er sah, daß sie weinte.
»Nächstes Jahr wird alles besser«, tröstete er sie, auch wenn der Satz keinen Funken von Bedeutung hatte. »Geh rein, bevor du dir eine Lungenentzündung holst.«
Sie ging ins Haus, und er fuhr weg. Unterwegs dachte er über Wally Hamner und seine Silvesterparty nach. Er glaubte, daß er doch hingehen würde.
24. Dezember 1973
Er fand eine kleine Autowerkstatt in Norton, die die zerbrochene Fensterscheibe für neunzig Dollar reparieren würde.
Als er den Mechaniker fragte, ob er auch noch einen Tag vor Weihnachten arbeiten würde, antwortete er hastig: »Teufel, ja! Wir nehmen alle Aufträge, die wir kriegen können.«
Auf dem Weg zur Werkstatt hielt er vor einem Waschsalon und stopfte zwei Maschinen voll. Automatisch überprüfte er die Trommeln, um festzustellen, in welchem Zustand sich die Federn befanden. Dann belud er sie sorgfältig, damit die Schleudern nicht wegen Überfüllung aus dem Rhythmus gerieten. Er lächelte über sich selbst. Man konnte einen Jungen aus der Wäscherei holen, aber man konnte die Wäscherei nicht aus dem Jungen rausholen. Nicht wahr, Fred? Fred?
Ach, scheiß die Wand an.
»Das ist aber ein verdammt großes Loch«, sagte der Mechaniker, als er mit zusammengekniffenen Augen das Spinnennetz betrachtete.