»Mein Herr!« rief Luschin erbost und gereizt; er war ganz rot geworden und hatte seine Fassung verloren. »Mein Herr ... so meinen Gedanken zu entstellen! Entschuldigen Sie mich, aber ich muß Ihnen sagen, daß die Gerüchte, die Sie erreicht haben, oder besser gesagt, die man Ihnen zugetragen hat, auch nicht den Schatten eines vernünftigen Grundes haben, und ich ahne schon, wer ... mit einem Worte ... dieser Pfeil ... mit einem Worte, Ihre Frau Mama ... Sie schien mir auch ohnedem, übrigens bei allen ihren ausgezeichneten Eigenschaften, eine etwas exaltierte und romantische Gedankenrichtung zu haben ... Aber ich war doch tausend Werst von der Annahme entfernt, daß sie die Sache in einer von der Phantasie dermaßen entstellten Weise auffassen und darstellen könnte ... Und schließlich ... schließlich ...«
»Wissen Sie aber was?« rief Raskolnikow aus, den Kopf vom Kissen hebend und ihn unverwandt mit durchdringendem brennendem Blicke ansehend. »Wissen Sie was?«
»Was denn?«
Luschin hielt inne und wartete mit herausfordernder und gekränkter Miene. Das Schweigen dauerte einige Sekunden.
»Daß, wenn Sie noch einmal ... wagen, auch nur ein Wort von meiner Mutter zu erwähnen ... ich Sie die Treppe hinunterwerfen werde!«
»Was hast du nur?« rief Rasumichin.
»Ah, so steht es also!« Luschin erbleichte und biß sich auf die Lippe. »Hören Sie, mein Herr«, begann er langsam, ich mit aller Kraft beherrschend, aber dennoch beinahe erstickend. »Ich habe schon vorhin, gleich beim ersten Schritt, Ihre Feindseligkeit erraten, bin aber absichtlich hier geblieben, um noch mehr zu erfahren. Vieles könnte ich einem Kranken und einem Verwandten verzeihen, doch jetzt ... Ihnen ... niemals ...«
»Ich bin nicht krank!« schrie Raskolnikow.
»Dann um so weniger ...«
»Scheren Sie sich zum Teufel!«
Luschin ging aber schon von selbst, ohne seine Rede beendet zu haben, und wieder zwischen dem Tisch und dem Stuhl durchkriechend; Rasumichin stand diesmal auf, um ihn vorbeizulassen. Ohne jemand anzusehen und selbst ohne Sossimow zuzunicken, der ihm schon längst durch einen Wink bedeutet hatte, daß er den Kranken in Ruhe lassen möchte, verließ Luschin das Zimmer; als er gebückt durch die Tür ging, hielt er vorsichtshalber den Hut in der Höhe seiner Schulter. Selbst die Krümmung seines Rückens schien dabei zu sagen, daß er eine furchtbare Beleidigung mit sich forttrage.
»Wie kann man es nur, wie kann man es nur?« sagte der betroffene Rasumichin, den Kopf schüttelnd.
»Laßt mich, laßt mich alle!« schrie Raskolnikow wie rasend. »Werdet Ihr mich endlich einmal in Ruhe lassen, ihr Peiniger?! Ich fürchte euch nicht! Ich fürchte jetzt niemand, niemand! Fort von mir! Ich will allein sein, allein, allein, allein!«
»Gehen wir!« sagte Sossimow.
»Ich bitte dich, kann man ihn denn so lassen?«
»Gehen wir!« wiederholte Sossimow mit Nachdruck und ging hinaus. Rasumichin dachte eine Weile nach und lief ihm nach, um ihn einzuholen.
»Es könnte viel schlimmer werden, wenn wir ihm nicht gehorcht hätten«, sagte Sossimow schon auf der Treppe. »Man darf ihn nicht reizen ...«
»Was hat er denn?«
»Wenn er doch nur irgendeinen günstigen Anstoß bekommen könnte, das wäre vonnöten! Vorhin war er bei Kräften ... Weißt du, er hat etwas auf dem Herzen! Etwas Starres, etwas Drückendes ... Das fürchte ich sehr; ganz bestimmt hat er was!«
»Vielleicht ist es dieser Herr Pjotr Petrowitsch? Aus dem Gespräch kann man ersehen, daß er seine Schwester heiraten will und daß Rodja darüber kurz vor seiner Erkrankung einen Brief erhalten hat ...«
»Ja. Hat ihn auch der Teufel herbringen müssen! Vielleicht hat er die ganze Sache verdorben. Hast du aber bemerkt, daß er gegen alles gleichgültig ist, auf nichts reagiert, mit Ausnahme des einen Punktes, der ihn aus der Fassung bringt: ich meine den Mord ...«
»Ja, ja!« fiel ihm Rasumichin ins Wort. »Ich habe es wohl bemerkt! Er interessiert sich, er fürchtet. Man hat ihn am Tage seiner Erkrankung auf dem Bureau des Revieraufsehers damit erschreckt; er war in Ohnmacht gefallen.«
»Erzähl mir das alles genauer am Abend, und dann werde ich dir auch etwas sagen. Es interessiert mich sehr! In einer halben Stunde will ich wieder nach ihm sehen ... Eine Entzündung ist übrigens nicht zu befürchten.«
»Ich danke dir! Ich will aber inzwischen bei Paschenjka warten und ihn durch Nastasja beobachten lassen ...«
Als Raskolnikow allein geblieben war, blickte er Nastasja voll Ungeduld und Unlust an; sie zögerte aber noch, wegzugehen.
»Willst du jetzt Tee trinken?« fragte sie.
»Später! Ich will schlafen! Laß mich ...«
Er wandte sich krampfhaft zur Wand; Nastasja ging hinaus.
VI