»Stimmt«, gab ich zu. Ich nahm rasch eine geistige Bestandsaufnahme vor und stellte zu meiner Überraschung fest, dass ich mir meiner Gefühle gar nicht sicher war. »Ich habe das Gefühl, ich sollte eigentlich gekränkt sein«, sagte ich schließlich. »Aber ich glaube nicht, dass ich es bin.«
Vashet nickte anerkennend. »Das ist ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass du allmählich gesittet wirst. Das alte Gefühl wurde dir anerzogen. Es ist wie ein altes Hemd, das nicht mehr passt. Und wenn du es jetzt genauer betrachtest, siehst du, dass es von Anfang an hässlich war.«
Ich zögerte. »Nur aus Neugier«, sagte ich, »mit wieviel anderen hast du es getan, seit wir zusammen sind?«
Die Frage schien Vashet zu überraschen. Sie schürzte die Lippen und blickte lange zum Himmel auf, dann zuckte sie mit den Schultern. »Mit wievielen Leuten habe ich seitdem gesprochen? Mit wievielen gekämpft? Wie oft habe ich gegessen oder meinen Ketan geübt? Wer zählt so etwas?«
»Und die meisten Adem empfinden genauso?« Ich war froh darüber, endlich diese Fragen stellen zu können. »Dass das Liebesspiel nichts Intimes ist?«
»Natürlich ist es etwas Intimes«, erwiderte Vashet. »Alles, was zwei Menschen so eng zusammenbringt, ist intim. Ein Gespräch, ein Kuss, ein Flüstern. Sogar Kämpfen ist etwas Intimes. Aber das Liebesspiel ist für uns nichts Abartiges, nichts, dessen wir uns schämen würden. Und wir wollen niemanden für uns allein besitzen wie ein Geizhals, der einen Schatz hortet.« Sie schüttelte den Kopf. »Vor allem durch diese seltsame Vorstellung unterscheidet ihr Barbaren euch von uns.«
»Aber was ist dann noch romantisch?«, fragte ich ein wenig empört. »Wo bleibt die Liebe?«
Vashet lachte wieder, diesmal lange und von Herzen. Die Hügel warfen das Echo zurück, halb Haert musste es hören.
»Ihr Barbaren«, sagte sie und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Ich hatte ganz vergessen, wie rückständig ihr seid. Mein Dichterkönig war genauso. Er brauchte lange und hatte große Mühe, die Wahrheit zu erkennen: dass nämlich ein großer Unterschied besteht zwischen einem Penis und einem Herzen.«
Kapitel 125
Caesura
Beim Aufwachen am nächsten Tag dröhnte mir der Kopf. Nicht dass ich so viel getrunken hätte, aber mein Körper war den Alkohol nicht mehr gewöhnt, deshalb spürte ich an jenem Morgen jeden Schluck dreifach. Ich schleppte mich ins Badehaus, setzte mich in das heißeste Becken, das ich gerade noch aushalten konnte, und schrubbte, so gut es ging, das sandige Gefühl auf der Haut ab.
Auf dem Rückweg zum Speisesaal kamen mir im Gang Vashet und Shehyn entgegen. Vashet bedeutete mir, ihnen zu folgen, was ich auch tat. Zum Kämpfen oder zu einer förmlichen Unterhaltung fühlte ich mich nicht imstande, aber deshalb die Aufforderung abzulehnen kam auch nicht in Frage.
Wir gingen verschiedene Gänge entlang und gelangten zuletzt ins Zentrum der Schule. Dort überquerten wir einen Innenhof und näherten uns einem kleinen, viereckigen Gebäude. Shehyn schloss es mit einem kleinen eisernen Schlüssel auf. Es war die erste abgesperrte Tür, die ich in Haert sah.
Wir traten in einen engen, fensterlosen Flur. Vashet schloss die äußere Tür und es wurde stockdunkel, und auch der ständige Wind war nicht mehr zu hören. Dann öffnete Shehyn die innere Tür. Das warme Licht eines halben Dutzends Kerzen hieß uns willkommen. Es kam mir am Anfang seltsam vor, dass man sie in einem leeren Zimmer hatte brennen lassen …
Nun sah ich erst, was an den Wänden hing: Dutzende von Schwertern. Ihre blanken Klingen schimmerten im Kerzenlicht, die Scheiden hingen jeweils darunter.
Ansonsten gab es keinerlei kultischen Schmuck, wie man ihn etwa in einer Tehlanerkirche finden mochte, weder Wandteppiche noch Gemälde. Nur die Schwerter. Trotzdem merkte man sofort, dass der Raum eine besondere Bedeutung hatte. Es lag eine Spannung in der Luft, wie man sie etwa in der Bibliothek der Universität oder auf einem alten Friedhof spürt.
Shehyn wandte sich an Vashet. »Triff deine Wahl.«
Vashet sah sie erschrocken, geradezu unglücklich an. Sie wollte eine Gebärde machen, doch Shehyn hob die Hand, bevor sie protestieren konnte.
»Er ist dein Schüler«, sagte Shehyn.
Vashet sah Shehyn an, dann mich und dann die vielen blitzenden Schwerter mit ihren schmalen, tödlichen Klingen, von denen keine zwei gleich waren. Einige waren gekrümmt, andere länger oder breiter. Einige zeigten starke Gebrauchsspuren, einige wenige ähnelten mit ihren abgenutzten Griffen und makellosen Klingen aus grau schimmerndem Metall Vashets Schwert.
Langsam trat Vashet an die Wand auf der rechten Seite, nahm ein Schwert herunter, bewegte es prüfend hin und her und hängte es wieder an seinen Platz. Dann nahm sie ein anderes, packte es und hielt es mir hin.
Ich ergriff es. Es war leicht und hauchdünn.
»Die Sich Kämmende Jungfrau«, sagte Vashet.