Ich gehorchte und sie schmiegte sich in meine Armbeuge und legte den Kopf auf meine Schulter. »Als Mann hat man es schwer«, sagte sie leise. »Eine Frau kennt ihren Platz in der Welt und steht mitten im Leben. Sie ist die Blüte und die Frucht. Und in unseren Kindern leben wir fort. Ein Mann dagegen …« Sie hob den Kopf und sah mich voll zärtlichen Bedauerns an. »Ihr seid wie ein kahler Ast und wisst, dass ihr bei eurem Tod nichts Wichtiges zurücklassen werdet.«
Sie strich mir liebevoll über die Brust. »Ich glaube, dass ihr deshalb so viel Zorn in euch tragt. Vielleicht habt ihr gar nicht mehr als die Frauen, sondern nur kein Ventil dafür. Vielleicht will sich euer Zorn nur verzweifelt bemerkbar machen. Er schlägt um sich, treibt euch zu überstürztem Handeln, zu Streit und Wut. Ihr malt und baut und kämpft und erzählt Geschichten, die größer sind als die Wahrheit.«
Sie seufzte zufrieden, legte den Kopf wieder auf meine Schulter und drückte sich fest in meine Armbeuge. »Es tut mir leid, dir das alles zu sagen. Du bist ein guter Mensch und siehst gut aus. Aber du bist eben nur ein Mann. Alles, was du der Welt zu bieten hast, ist dein Zorn.«
Kapitel 128
Namen
Der Tag war gekommen, an dem ich entweder bleiben oder gehen würde. Ich saß mit Vashet auf der Kuppe eines grünen Hügels und sah zu, wie die Sonne hinter den Wolken im Osten aufging.
»Saicere bedeutet zu fliegen, zu fangen und zu brechen«, sagte Vashet leise. Sie hatte es schon hundert Mal gesagt. »Vergiss nicht die Hände all derer, die es vor dir gehalten haben. Viele Hände, die alle dem Lethani folgten. Du darfst das Schwert nicht missbrauchen.«
»Versprochen«, sagte ich zum hundersten Mal. Ich zögerte kurz, dann brachte ich etwas anderes zur Sprache, das mich beschäftigte. »Aber du hast mit deinem Schwert die Weidenrute zugeschnitten, mit der du mich geschlagen hast, Vashet. Einmal hast du es auch dazu verwendet, das Fenster offen zu halten, und du schneidest dir damit die Nägel …«
Vashet sah mich verständnislos an. »Und?«
»Missbrauchst du es damit nicht?«
Vashet legte den Kopf schräg und lachte. »Du meinst, ich sollte es nur zum Kämpfen verwenden?«
Ich machte die Geste für
»Ein Schwert ist scharf«, sagte sie. »Es ist ein Werkzeug und ich trage es ständig bei mir. Warum sollte ich es also nicht auch für andere Dinge verwenden?«
»Es kommt mir respektlos vor«, erklärte ich.
»Man respektiert etwas, indem man es für einen nützlichen Zweck einsetzt«, erwiderte Vashet. »Ich kehre womöglich erst in einigen Jahren wieder als Söldner in ein barbarisches Land zurück. Warum sollte es meinem Schwert schaden, wenn es bis dahin Anzündholz und Karotten schneidet?« Sie wurde ernst. »Ein Schwert das ganze Leben mit sich herumzutragen und zu wissen, dass es nur zum Töten gedacht ist …« Sie schüttelte den Kopf. »Was stellt das mit einem an? Es wäre doch schrecklich.«
Vashet war am Abend zuvor nach Haert zurückgekehrt und unglücklich gewesen, dass sie meine Steinprüfung verpasst hatte. Sie meinte allerdings, es sei richtig gewesen, das Schwert wegzulegen, da Carceret es auch getan hatte, und dass sie stolz auf mich sei.
Shehyn hatte mich am Tag zuvor offiziell eingeladen, an der Schule zu bleiben und eine Ausbildung zu absolvieren. Theoretisch hatte ich mir dieses Recht verdient, doch hatte das, wie alle wussten, noch nichts zu sagen. Shehyns Angebot war sehr schmeichelhaft, eine Gelegenheit, die sich mir wahrscheinlich nie wieder bieten würde.
Wir sahen zu, wie ein Junge eine Herde Ziegen die Hügelflanke hinuntertrieb. »Stimmt es eigentlich, dass den Adem die Vorstellung einer Vaterschaft fremd ist, Vashet?«
Vashet nickte unbekümmert und sah mich an. »Sag jetzt bitte, dass du nicht mit allen darüber geredet hast, während ich weg war, und uns dadurch beide unmöglich gemacht hast.« Sie seufzte.
»Nur mit Penthe«, erwiderte ich. »Sie meinte, sie hätte schon lange nicht mehr etwas so Lustiges gehört.«
»Es ist ja auch lustig.« Vashets Lippen deuteten ein Lächeln an.
»Dann stimmt es?«, fragte ich. »Sogar du glaubst es? Du …«
Vashet hob die Hand und ich verstummte. »Reg dich nicht auf. Denk über deine Mann-Mütter, was du willst, mir ist das egal.« Sie lächelte in Erinnerungen versunken. »Mein Dichterkönig glaubte sogar, eine Frau sei lediglich der Boden, in den der Mann ein Baby pflanzt.«
Sie schnaubte belustigt. »Er war fest davon überzeugt, dass er recht hätte. Nichts konnte ihn darin erschüttern. Ich habe schon vor Jahren beschlossen, dass es nur Zeitverschwendung ist, mit einem Barbaren darüber zu streiten, wie Babys entstehen.« Sie zuckte die Achseln. »Denk dir, was du willst. Glaube meinetwegen an Dämonen oder bete zu Ziegen. Solange ich nicht darunter leide, warum sollte es mich kümmern?«
Ich dachte über ihre Worte nach. »Eine kluge Entscheidung«, sagte ich.
Sie nickte.
»Aber entweder ein Mann trägt zur Entstehung eines Babys bei oder nicht«, gab ich zu bedenken. »Man kann darüber verschiedener Meinung sein, aber es gibt nur eine Wahrheit.«