»Ich habe dem Jungen den Arm gebrochen«, warf ich ein.
»Hm«, brummte er. »Das habe ich ganz vergessen.« Er griff in die Tasche, holte einen halben Penny heraus und gab ihn mir. »Besten Dank dafür.«
Ich steckte den Penny grinsend ein.
»Ich schlage folgendes vor«, sagte er. »Ich gehe da nachher rüber und sehe, ob ich den Wachtmeister finden kann. Dann erkläre ich ihm, dass wir dich einsperren müssen. Wenn du in diesem Durcheinander verschwindest, dann haben wir dir ja nicht zur Flucht verholfen, oder?«
»Er hätte seine Pflicht als Wachtmeister vernachlässigt«, erwiderte ich. »Er könnte dafür mit einigen Peitschenhieben bestraft werden oder seine Stelle verlieren.«
»Dazu wird es kaum kommen«, sagte der Bürgermeister. »Und wenn doch, wird er diesen Preis gewiss gern zahlen. Er ist Ellies Onkel.« Er ließ den Blick über die Menge wandern. »Reicht dir eine Viertelstunde, um in diesem Durcheinander zu verschwinden?«
»Wenn’s dir nicht drauf ankommt«, sagte ich, »könntest du ja sagen, ich sei in einem Moment der Unachtsamkeit auf seltsame und geheimnisvolle Weise verschwunden.«
Der Bürgermeister lachte. »Das könnte ich. Und brauchst du dafür länger als eine Viertelstunde?«
»Zehn Minuten müssten gut reichen.« Ich nahm meinen Lautenkasten und den Reisesack vom Apfelschimmel und drückte dem Bürgermeister die Zügel in die Hand. »Es wäre mir eine Beruhigung, das Pferd versorgt zu wissen, bis Bil wieder auf den Beinen ist«, sagte ich.
»Du willst dein Pferd hier lassen?«
»Er hat seines gerade verloren.« Ich zuckte die Achseln. »Und wir Ruh sind es gewohnt, zu Fuß zu gehen.« Und nur halb aufrichtig fügte ich hinzu: »Ich wüsste gar nicht, was ich mit einem Pferd anfangen sollte.«
Der Bürgermeister nahm die Zügel und sah mich lange an, als sei er unschlüssig, was er von mir halten sollte. »Können wir etwas für dich tun?«, fragte er schließlich.
»Vergesst nicht, dass die Mädchen von Banditen entführt wurden«, sagte ich und wandte mich zum Gehen. »Und vergesst nicht, dass es ein Edema Ruh war, der sie euch zurückgebracht hat.«
Kapitel 136
Kvothe gab dem Chronisten ein Handzeichen. »Lasst uns an dieser Stelle eine kurze Pause einlegen, ja?« Er sah sich in dem dunklen Schankraum um. »Ich habe mich von der Geschichte etwas zu sehr gefangennehmen lassen. Ich muss noch allerhand erledigen, bevor es noch später wird.«
Der Wirt erhob sich mit steifen Gliedern und streckte sich. Er zündete am Kamin eine Kerze an, setzte damit nacheinander die Lampen im Wirtshaus in Betrieb und drängte so die Dunkelheit nach und nach wieder ein wenig zurück.
»Ich war auch ganz gebannt bei der Sache«, sagte der Chronist, stand ebenfalls auf und streckte sich. »Wie spät haben wir es denn?«
»Spät«, sagte Bast. »Ich habe Hunger.«
Der Chronist spähte durch das Fenster auf die Straße hinaus. »Mittlerweile müssten doch längst ein paar Leute zum Abendessen gekommen sein. Heute Mittag war es auch ganz schön voll hier.«
Kvothe nickte. »Wenn die Trauerfeier für Shep nicht wäre, wären wahrscheinlich längst einige meiner Stammgäste reingeschneit.«
»Ach ja«, sagte der Chronist und blickte zu Boden. »Das hatte ich ganz vergessen. Halte ich euch beide etwa davon ab, daran teilzunehmen?«
Kvothe entzündete hinterm Tresen die letzte Lampe und blies dann die Kerze aus. »Nein«, sagte er. »Bast und ich, wir sind ja nicht von hier. Und diese Leute denken praktisch. Denen ist klar, dass ich ein Geschäft zu führen habe.«
»Und außerdem verstehst du dich nicht mit Abbe Leodin«, sagte Bast.
»Und außerdem verstehe ich mich nicht mit dem hiesigen Priester«, gestand Kvothe. »Aber du solltest dich dort blicken lassen, Bast. Das würde sonst einen seltsamen Eindruck machen.«
Bast blickte nervös hin und her. »Ich will aber nicht hier weg, Reshi.«
Kvothe lächelte. »Du solltest aber hingehen. Shep war ein guter Mann. Geh und trink ein Gläschen zu seinen Ehren. Apropos …« Er bückte sich, kramte unterm Tresen herum und holte eine Flasche hervor. »Hier. Ein ausgezeichneter alter Brand. So guter Stoff wird hier sonst nie verlangt. Den spendiere ich euch.« Er stellte die Flasche auf den Tresen.
Bast ging widerwillig einen Schritt darauf zu, und seinem Gesicht war anzusehen, dass er hin- und hergerissen war. »Aber Reshi, ich …«
»Hübsche Mädchen werden dort tanzen, Bast«, sagte Kvothe mit leiser, besänftigender Stimme. »Jemand wird Geige spielen, und alle werden einfach nur froh sein, dass sie am Leben sind. Die Mädchen werden zum Takt der Musik die Röcke hochwerfen. Sie werden lachen und ein bisschen beschwipst sein. Ihre rosigen Wangen werden nur darauf warten, geküsst zu werden …« Er gab der schweren, braunen Flasche einen Stups, und sie rutschte ein Stück den Tresen entlang, auf seinen Schüler zu. »Du bist mein Abgesandter. Ich muss hierbleiben und mich ums Wirtshaus kümmern, du aber kannst hingehen und mich entschuldigen.«