Lucans Gesichtsausdruck war grimmig, aber unerschütterlich. Sein Ton war sanfter, als sie es je erlebt hatte, was es umso schwerer machte, seine Worte zu akzeptieren. „Dann solltest du sie schnell aus deinem Gedächtnis streichen, denn sie ist bereits so gut wie tot.“
„Ich hoffe, der Tee ist nicht zu stark. Wenn Sie etwas Milch möchten, kann ich welche aus der Küche holen.“
Gabrielle lächelte. Die Gastfreundschaft von Gideons Partnerin wärmte ihr das Herz. „Der Tee ist prima, vielen Dank.“
Sie war überrascht, dass es im Quartier noch andere Frauen gab. In der schönen Savannah schien sie sofort eine Freundin gefunden zu haben. Von dem Moment an, als sie auf Lucans Befehl hin Gabrielle abholen kam, hatte Savannah keine Mühe gescheut, dafür zu sorgen, dass Gabrielle es entspannt und behaglich hatte.
Zumindest so entspannt, wie das möglich war, wenn man umgeben von schwer bewaffneten Vampiren in einem Hochsicherheitsbunker etwa hundert Meter unter der Erde saß.
Das allerdings war hier überhaupt nicht zu merken. Sie saß Savannah gegenüber an einem langen Tisch aus dunklem Kirschholz in einem geschmackvoll ausgestatteten Esszimmer und trank exotischen, würzigen Tee aus einer feinen Porzellantasse, während im Hintergrund sanfte Musik erklang.
Das Zimmer und die angrenzenden großzügigen Wohnräume gehörten Gideon und Savannah. Allem Anschein nach lebten sie wie ein normales Paar hier im Quartier, in einem behaglichen Wohnbereich mit luxuriösen Möbeln, zahllosen Büchern und wunderschönen Kunstgegenständen. Alles war von feinster Qualität, und alles perfekt gepflegt, nicht anders, als man es in einem vornehmen und teuren Sandsteinhaus in Back Bay erwarten würde. Hätten nicht die Fenster gefehlt, dann wäre diese Bleibe ein Traum. Und selbst dieser Mangel wurde ein Stück weit ausgeglichen durch eine atemberaubende Sammlung von Gemälden und Fotografien, die fast jede Wand schmückten.
„Haben Sie keinen Hunger?“
Savannah deutete einladend auf das Silbertablett mit Gebäck und Keksen zwischen ihnen auf dem Tisch. Daneben stand noch ein glänzender Teller mit appetitlichen kleinen Sandwiches und aromatischen Soßen. Alles sah wundervoll aus und roch auch so, aber Gabrielles Appetit war ziemlich angeschlagen, seit sie gesehen hatte, wie Lucan die Kehle des Lakaien zerfleischt und sein Blut getrunken hatte.
„Nein, vielen Dank“, antwortete sie. „Das ist im Augenblick mehr als genug für mich.“ Sie war fast erstaunt, dass es ihr überhaupt gelang, irgendetwas im Magen zu behalten, aber der Tee war heiß und beruhigend, und seine Wärme tat ihr wohl.
Savannah sah von der anderen Seite des Tisches schweigend zu, wie sie trank. In ihren dunklen Augen lag tiefe Freundlichkeit, und ihre schmalen schwarzen Brauen waren mitfühlend zusammengezogen. Sie trug ihre dichten Locken kurz geschnitten, sodass ihr wohlgeformter Schädel zur Geltung kam, aber in Verbindung mit ihren markanten Gesichtszügen und ihren hübschen, femininen Kurven wirkte der sportliche Haarschnitt eher mondän als jungenhaft. Sie besaß das gleiche offene, zugewandte Verhalten wie Gideon, was Gabrielle besonders zu schätzen wusste, nachdem sie die vergangenen Stunden mit Lucan und seiner dominanten Attitüde zu tun gehabt hatte.
„Na ja, vielleicht können Sie der Versuchung widerstehen“, sagte Savannah und griff nach einem der knusprigen süßen Pastetchen, „aber ich kann es nicht.“
Sie gab einen Klecks dicker Sahne auf das Gebäckstück, dann brach sie ein Stück ab und seufzte befriedigt auf, als sie sich den Bissen in den Mund schob. Gabrielle wusste, dass sie Savannah anstarrte, aber sie konnte einfach nicht anders.
„Sie essen richtiges Essen“, sagte sie. Es war eher eine Frage als die Aussage, nach der es klang.
Nickend betupfte Savannah ihre Mundwinkel mit einer Serviette. „Ja. Klar doch. Ein Mädchen muss essen.“
„Aber ich dachte – Sie und Gideon … Sind Sie nicht – wie er?“
Savannah runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Ich bin ein Mensch, genau wie Sie. Hat Lucan Ihnen nichts erklärt?“
„Doch, ein bisschen.“ Gabrielle zuckte mit den Schultern. „Es hat dazu gereicht, dass mir der Kopf schwirrt, aber ich habe immer noch eine Menge Fragen.“
„Natürlich. Die hat jede von uns, wenn wir in diese neue, andere Welt eingeführt werden.“ Sie streckte ihre Hand aus und drückte die von Gabrielle sanft. „Sie können mich alles fragen. Ich gehöre selbst zu den neueren Frauen.“
Diese Enthüllung ließ Gabrielle aufhorchen. Ihr Interesse war geweckt. „Wie lange sind Sie schon hier?“
Savannah richtete die Augen einen Moment zur Decke, als ob sie die Jahre zählte. „Ich habe mein altes Leben 1974 verlassen. In dem Jahr habe ich Gideon kennengelernt und mich bis über beide Ohren in ihn verliebt.“
„Vor mehr als dreißig Jahren“, sagte Gabrielle überrascht, während sie die jugendlichen Gesichtszüge, die schimmernde Mokkahaut und die jugendlich leuchtenden Augen von Gideons Frau betrachtete. „Für mich sehen Sie aus, als seien Sie nicht mal zwanzig.“