„Scheiße“, flüsterte Gideon. „Einer dieser Rogues ist dein Neffe?“
„Er hat angefangen, Crimson zu nehmen, und wird seit fast zwei Wochen vermisst. Er ist der wahre Grund, warum ich den Orden aufgesucht habe. Ich brauchte Hilfe, denn ich wollte ihn ausfindig machen und zurückbringen, bevor so etwas wie das da passiert.“
Das Gesicht des anderen Kriegers war tiefernst. „Du weißt, dass alle an diesem Raubzug beteiligten Personen Rogues sind? Sie sind jetzt Junkies, Chase. Hoffnungslose Fälle.“
„Ich weiß. Ich habe Camden heute Abend gesehen, als ich mit Dante und Tegan bei Sullivans Wohnung war. Als ich in seine Augen sah, begriff ich, was er ist. Das hier bestätigt es nur.“
Gideon war eine ganze Weile still und schaltete schließlich das Gerät aus. „Was Rogues betrifft, sind unsere Regeln eindeutig. Das müssen sie sein. Es tut mir leid, Chase, aber wenn uns bei einer Patrouille welche von diesen Jungs über den Weg laufen, gibt es nur eine einzige Option.“
Chase nickte. Er kannte die unverrückbare Haltung des Ordens in Bezug auf Auseinandersetzungen mit Rogues. Nachdem er die letzten Nächte mit Dante auf Patrouille gewesen war, wusste er auch, dass es sein musste. Camden war verloren. Es war jetzt nur noch eine Frage der Zeit, bis die blutgierige Hülle, die von seinem Neffen noch geblieben war, ein gewaltsames Ende fand; sei es im Kampf mit den Kriegern oder durch seine eigenen skrupellosen Handlungen.
„Ich muss an die Oberfläche und etwas für Dante erledigen“, sagte Chase. „Aber ich müsste innerhalb einer Stunde zurück sein. Dann kann ich dir alle Informationen geben, die du brauchst, damit wir diese Rogues von der Straße kriegen.“
„Danke.“ Gideon klopfte ihm auf die Schulter. „Hey, es tut mir leid. Ich wünschte, die Dinge lägen anders. Wir alle haben geliebte Freunde und Angehörige in diesem verfluchten Krieg verloren. Das macht es nicht leichter.“
„Stimmt. Bis später“, sagte Chase und ging zum Fahrstuhl, der ihn zum Fuhrpark des Ordens an der Oberfläche bringen würde.
Als er hinauffuhr, dachte er an Elise. Er hatte, was Camden betraf, Dante und den anderen reinen Wein eingeschenkt, aber Elise gegenüber hielt er mit der Wahrheit immer noch hinterm Berg. Sie musste es erfahren. Sie musste darauf vorbereitet werden, was mit ihrem Sohn passiert war, und sie musste verstehen, was es bedeutete. Chase würde Camden nicht nach Hause bringen. Niemand konnte das. Die Wahrheit würde Elise umbringen, aber sie hatte trotzdem ein Anrecht darauf.
Chase stieg aus dem Fahrstuhl und griff in seine Manteltasche, um sein Handy herauszuholen. Während er zu Dantes Coupe ging, drückte er die Kurzwahltaste. Elise nahm beim zweiten Klingeln ab; ihre Stimme klang besorgt und zugleich voller Hoffnung.
„Hallo? Sterling, geht es dir gut? Hast du ihn gefunden?“
Chase blieb stehen und stieß innerlich Verwünschungen aus. Für einen langen Augenblick war er nicht in der Lage, zu sprechen. Er wusste nicht, wie er formulieren konnte, was er zu sagen hatte. „Ich, also … ja, Elise. Camden ist heute Nacht gesichtet worden.“
„O mein Gott.“ Sie schluchzte auf, dann zauderte sie. „Sterling, ist er … bitte sag mir, dass er am Leben ist.“
„Ach, Elise. Zum Teufel. Es sind keine guten Neuigkeiten.“ Am anderen Ende wurde es still. Chase begann ihr die Fakten zu berichten. „Camden wurde heute Nacht beobachtet, wie er mit einer Gruppe Rogues herumzog. Ich habe ihn in der Wohnung des Menschen, der mit Crimson dealt, selbst gesehen. Er ist in einer schlechten Verfassung, Elise. Er ist … ach verdammt, es ist nicht leicht, dir das zu sagen. Er ist verwandelt, Elise. Es ist zu spät. Camden ist zu einem Rogue geworden.“
„Nein“, sagte sie schließlich. „Nein, ich glaube dir nicht. Du musst dich irren.“
„Es ist kein Irrtum. Ich wünschte, es wäre so, aber ich habe ihn mit meinen eigenen Augen gesehen. Ich habe außerdem Aufnahmen einer Überwachungskamera gesehen, die die Krieger benutzen. Er und eine Gruppe anderer Jugendlicher aus dem Dunklen Hafen – jetzt allesamt Rogues – sind dabei gefilmt worden, wie sie in aller Öffentlichkeit einen Menschen überfielen.“
„Ich muss das selbst sehen.“
„Nein, vertrau mir, du brauchst nicht …“
„Sterling, hör mir zu. Camden ist mein Sohn. Er ist alles, was mir noch geblieben ist. Wenn er getan hat, was du sagst – wenn er so ein Tier geworden ist und du Beweise dafür hast, dann habe ich ein Recht darauf, es mit eigenen Augen zu sehen.“
Chase trommelte mit den Fingern auf das Dach des schwarzen Porsche. Er wusste, dass keiner der Krieger dafür Verständnis haben würde, wenn er eine Zivilistin in das Quartier brachte.
„Sterling? Bist du noch da?“
„Ja, ich bin noch da.“