Sie sah zu ihm auf, erwiderte seinen durchdringenden, prüfenden Blick, der sich so intim wie eine Liebkosung anfühlte. „Ich würde schon gerne daran glauben“, sagte sie, nicht sicher, warum sie es ihm gegenüber zugab. Es verwirrte sie, dass sie ihm das überhaupt gesagt hatte. Plötzlich nervös geworden, schlenderte sie zu einer anderen Vitrine mit Arbeiten von Rodin hinüber.
„Was ist Ihr Interesse an Bildhauerei, Dante? Sind Sie Künstler oder Kunstliebhaber?“
„Weder noch.“
„Oh.“ Dante hielt mit ihr Schritt, blieb neben ihr an der Vitrine stehen. Tess hatte von Anfang an gedacht, dass er aus dem Rahmen fiel, aber als sie ihn nun reden hörte, ihn aus der Nähe sah, musste sie zugeben, dass er etwas unleugbar Kultiviertes an sich hatte. Obwohl er aussah, als sei er einem Actionfilm der Brüder Wachowski entsprungen, spürte sie unter Leder und Muskeln eine Weltgewandtheit, die sie überraschte und faszinierte. Wahrscheinlich mehr als sie sollte. „Was dann? Sind Sie ein Sponsor des Museums?“
Er schüttelte den dunklen Kopf.
„Dann sind Sie vielleicht bei der Security?“, riet sie.
Das würde mit Sicherheit das Fehlen einer formellen Abendgarderobe und diese laserscharfe Intensität erklären, die von ihm ausging. Vielleicht war er von einem dieser hochkarätigen Sicherheitsunternehmen, die von Museen oft engagiert wurden, um bei öffentlichen Anlässen ihren Sammlungsbestand zu schützen.
„Es gibt hier etwas, das ich sehen wollte“, erwiderte er, seine hypnotischen Augen unablässig auf sie gerichtet. „Das war auch der einzige Grund, warum ich gekommen bin.“
Etwas an der Art, wie er sie ansah, als er es sagte – als sähe er direkt in sie hinein –, versetzte ihr einen elektrischen Schlag. Sie war in ihrem Leben oft genug angemacht worden, um zu erkennen, wenn ein Typ eine bestimmte Masche bei ihr versuchte. Aber das hier war anders.
Dieser Mann erwiderte ihren Blick mit einer Intimität, die besagte, dass sie ihm bereits gehörte. Ohne draufgängerisches Getue, ohne Drohung, es war einfach eine Tatsache.
Es brauchte nicht viel dazu, sich seine riesigen Hände auf ihrem Körper vorzustellen, wie sie ihre nackten Schultern und Arme streichelten. Seinen sinnlichen Mund, wie er sich an den ihren presste, seine Zähne, die sie leicht in den Hals bissen.
Tess starrte zu ihm auf, betrachtete den leicht geschwungenen Bogen seiner Lippen, die sich nicht bewegt hatten, obwohl sie ihn eben sprechen gehört hatte. Er näherte sich ihr, ungeachtet der wogenden Menge – niemand schien sie mehr zu bemerken –, und fuhr ihr mit dem Daumen zärtlich über die Wange. Tess war außerstande, sich zu rühren, als er sich herabbeugte und mit dem Mund die Kurve ihres Kiefers streifte.
Hitze flammte in ihrem Innersten auf, ein langsames Brennen, das den Rest ihres Verstandes zum Schmelzen brachte.
Sie musste ihn falsch verstanden haben – wenn man davon absah, dass er kein Wort gesagt hatte. Und doch war Dantes Stimme in ihrem Kopf, tröstend und beruhigend, wo sie eigentlich beunruhigt sein sollte. Er machte, dass sie ihm glaubte – obgleich ihre Vernunft ihr sagte, dass gerade etwas Unmögliches mit ihr passierte.
Ihre Augenlider schlossen sich, und dann presste sich sein Mund in einem weichen, hypnotischen Kuss auf ihren. Das gibt’s doch nicht, das passiert doch nicht wirklich, dachte Tess verzweifelt. Sie ließ es doch nicht einfach geschehen, dass dieser Mann sie küsste, oder? Einfach so, mitten in einem Raum voller Leute?
Aber seine Lippen lagen warm auf ihren, sanft knabberten seine Zähne an ihrer Unterlippe, er sog an ihr und ließ wieder los. Und dann, einfach so, war der plötzliche, überraschende Kuss vorbei. Und Tess wollte mehr.
Gott, wie sie ihn wollte.
Sie konnte ihre Augen nicht öffnen, so sehr hämmerte ihr Blut in den Schläfen, jeder Teil ihres Körpers war heiß vor Begehren und erfüllt von einer seltsamen, unmöglichen Sehnsucht. Tess schwankte ein wenig, keuchend und atemlos, verwundert über diesen plötzlichen Ansturm des Begehrens. Und dann, übergangslos, spürte sie eine kühle Brise auf ihrer Haut, die eine Gänsehaut hinterließ.
„Tut mir leid, das hat jetzt etwas gedauert.“ Bens Stimme ließ sie die Augen rasch aufmachen, als er mit Drinks zu ihr herübergeschlendert kam. „Das ist der reinste Zoo hier. Die Schlange an der Bar wollte gar kein Ende nehmen.“
Erstaunt schaute sie sich nach Dante um. Aber er war fort. Nirgendwo eine Spur von ihm – weder in ihrer Nähe noch in der umherwandernden Menschenmenge.
Ben reichte ihr ein Glas Mineralwasser. Tess trank es schnell aus. Fast hätte sie ihm seinen Champagner abgenommen und den auch noch hinuntergekippt.
„Oh, Scheiße“, sagte Ben und runzelte die Stirn. „Das Glas hat einen Sprung, Tess. Du hast dir die Lippe aufgeschnitten.“
Sie hob die Hand an den Mund, während Ben hektisch nach einem Taschentuch wühlte. Ihre Fingerspitzen waren nass und von tiefem Rot.