Aber der Reisende schwieg. Der Offizier liess f"ur ein Weilchen von ihm ab; mit auseinandergestellten Beinen, die H"ande in den H"uften, stand er still und blickte zu Boden. Dann l"achelte er dem Reisenden aufmunternd zu und sagte: "Ich war gestern in Ihrer N"ahe, als der Kommandant Sie einlud. Ich h"orte die Einladung. Ich kenne den Kommandanten. Ich verstand sofort, was er mit der Einladung bezweckte. Trotzdem seine Macht gross genug w"are, um gegen mich einzuschreiten, wagt er es noch nicht, wohl aber will er mich Ihrem, dem Urteil eines angesehenen Fremden aussetzen. Seine Berechnung ist sorgf"altig; Sie sind den zweiten Tag auf der Insel, Sie kannten den alten Kommandanten und seinen Gedankenkreis nicht, Sie sind in europ"aischen Anschauungen befangen, vielleicht sind Sie ein grunds"atzlicher Gegner der Todesstrafe im allgemeinen und einer derartigen maschinellen Hinrichtungsart im besonderen, Sie sehen "uberdies, wie die Hinrichtung ohne "offentliche Anteilnahme, traurig, auf einer bereits etwas besch"adigten Maschine vor sich geht – w"are es nun, alles dieses zusammengenommen (so denkt der Kommandant), nicht sehr leicht m"oglich, dass Sie mein Verfahren nicht f"ur richtig halten? Und wenn Sie es nicht f"ur richtig halten, werden Sie dies (ich rede noch immer im Sinne des Kommandanten) nicht verschweigen, denn Sie vertrauen doch gewiss Ihren vielerprobten "Uberzeugungen. Sie haben allerdings viele Eigent"umlichkeiten vieler V"olker gesehen und achten gelernt, Sie werden daher wahrscheinlich sich nicht mit ganzer Kraft, wie Sie es vielleicht in Ihrer Heimat tun w"urden, gegen das Verfahren aussprechen. Aber dessen bedarf der Kommandant gar nicht. Ein fl"uchtiges, ein bloss unvorsichtiges Wort gen"ugt. Es muss gar nicht Ihrer "Uberzeugung entsprechen, wenn es nur scheinbar seinem Wunsche entgegenkommt. Dass er Sie mit aller Schlauheit ausfragen wird, dessen bin ich gewiss. Und seine Damen werden im Kreis herumsitzen und die Ohren spitzen; Sie werden etwa sagen: >Bei uns ist das Gerichtsverfahren ein anderes<, oder >Bei uns wird der Angeklagte vor dem Urteil verh"ort<, oder >Bei uns erf"ahrt der Verurteilte das Urteil<, oder >Bei uns gibt es auch andere Strafen als Todesstrafen<, oder >Bei uns gab es Folterungen nur im Mittelalter<. Das alles sind Bemerkungen, die ebenso richtig sind, als sie Ihnen selbstverst"andlich erscheinen, unschuldige Bemerkungen, die mein Verfahren nicht antasten. Aber wie wird sie der Kommandant aufnehmen? Ich sehe ihn, den guten Kommandanten, wie er sofort den Stuhl beiseite schiebt und auf den Balkon eilt, ich sehe seine Damen, wie sie ihm nachstr"omen, ich h"ore seine Stimme – die Damen nennen sie eine Donnerstimme –, nun, und er spricht: >Ein grosser Forscher des Abendlandes, dazu bestimmt, das Gerichtsverfahren in allen L"andern zu "uberpr"ufen, hat eben gesagt, dass unser Verfahren nach altem Brauch ein unmenschliches ist. Nach diesem Urteil einer solchen Pers"onlichkeit ist es mir nat"urlich nicht mehr m"oglich, dieses Verfahren zu dulden. Mit dem heutigen Tage also ordne ich an – usw. < Sie wollen eingreifen, Sie haben nicht das gesagt, was er verk"undet, Sie haben mein Verfahren nicht unmenschlich genannt, im Gegenteil, Ihrer tiefen Einsicht entsprechend halten Sie es f"ur das menschlichste und menschenw"urdigste, Sie bewundern auch diese Maschinerie – aber es ist zu sp"at; Sie kommen gar nicht auf den Balkon, der schon voll Damen ist; Sie wollen sich bemerkbar machen; Sie wollen schreien; aber eine Damenhand h"alt Ihnen den Mund zu – und ich und das Werk des alten Kommandanten sind verloren. "
Der Reisende musste ein L"acheln unterdr"ucken; so leicht war also die Aufgabe, die er f"ur so schwer gehalten hatte. Er sagte ausweichend: "Sie "ubersch"atzen meinen Einfluss; der Kommandant hat mein Empfehlungsschreiben gelesen, er weiss, dass ich kein Kenner der gerichtlichen Verfahren bin. Wenn ich eine Meinung aussprechen w"urde, so w"are es die Meinung eines Privatmannes, um nichts bedeutender als die Meinung eines beliebigen anderen, und jedenfalls viel bedeutungsloser als die Meinung des Kommandanten, der in dieser Strafkolonie, wie ich zu wissen glaube, sehr ausgedehnte Rechte hat. Ist seine Meinung "uber dieses Verfahren eine so bestimmte, wie Sie glauben, dann, f"urchte ich, ist allerdings das Ende dieses Verfahrens gekommen, ohne dass es meiner bescheidenen Mithilfe bed"urfte. "