Es lohnt nicht, alle die Vorfälle, die sich in diesen ersten Stunden ununterbrochen mit mir und Belopolski ereigneten, ausführlich zu beschreiben. Wären uns alle diese unfreiwilligen Flüge und Purzelbäume auf der Erde passiert — wir hätten uns längst das Genick gebrochen; jedoch in dieser unwahrscheinlichen Welt kamen wir mit ein paar blauen Flecken davon.
Kamow und Paitschadse hatten bereits auf dem vorhergehenden Flug Erfahrungen sammeln können, und mit ihrer Hilfe eigneten wir uns auch die ersten Fertigkeiten in der Fortbewegung an. Aber selbst ihnen unterliefen bisweilen Fehler.
Wir brachten mehrere Stunden am Fenster des Observatoriums zu. Das Fenster war nicht sehr groß, ungefähr einen Meter im Durchmesser, bot aber trotz der beträchtlichen Stärke des Glases eine erstaunlich gute Sicht.
Die Sternenwelt machte auf uns einen überwältigenden Eindruck. Einen besonders verblüffenden Anblick boten in diesen ersten Flugstunden jedoch die Erde und der Mond.
Die Entfernung, in der wir uns befanden, ließ uns die beiden Himmelskörper ungefähr gleich groß erscheinen. Zwei riesige Kugeln, die eine blaßblau, die andere gelb, hingen hinten, ein wenig links von der Flugbahn des Schiffes, im Raum.
Etwa eine Stunde lang herrschte an Bord tiefes Schweigen. Alles schaute der fernen Erde nach. Auf ihrer Scheibe konnte ich fast keine Einzelheiten unterscheiden, und sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit einem Globus oder den Abbildungen in den Schulbüchern.
Während ich durch das Schiffsfenster den frei im All schwebenden Erdball betrachtete, dachte ich daran, daß die Menschen jahrtausendelang ihren kleinen Planeten für den Mittelpunkt der Welt gehalten hatten. Es zog mich zur Kamera. Ich wollte dieses Bild auf den Zelluloidstreifen bannen. Millionen Menschen sollten sehen, was wir vier Glücklichen nun mit eigenen Augen erblickten.
Unterwegs
In hundertzwanzig Stunden werden wir die Venus erreichen. Die erste Etappe unserer weiten Reise nähert sich ihrem Ende. Der ferne und unerreichbare Planet, der so schön am morgendlichen und abendlichen Himmel der Erde leuchtet — nun sind wir ihm schon nahe!
Nahe? Offensichtlich habe ich mir durch den ständigen Umgang mit Astronomen auch schon astronomische Begriffe angewöhnt, wenn mir eine Entfernung von mehr als fünfzehn Millionen Kilometern so kurz vorkommt.
Die Venus steht jetzt zwischen uns und der Sonne und kehrt uns ihre unbeleuchtete Seite zu. Dafür sehen wir sie vor dem Hintergrund der Sonnenscheibe, und unsere beiden Astronomen stellen ohne Ende Beobachtungen an, die auf der Erde nur selten möglich sind. Ich habe mein Pensum an fotografischen Aufnahmen, das mir für diesen Abschnitt unserer Reise gestellt war, erledigt. Es gab so viel zu tun, daß ich zwei Monate lang keine Zeit fand, meine Aufzeichnungen fortzusetzen.
Nun habe ich alle belichteten Filmstreifen und die Negative geprüft. Es sind einmalige Aufnahmen! Paitschadse half mir bei der Ausfüllung der Karteikarten, die ich jeder Aufnahme beilege. Trotz des gewaltigen Ausmaßes seiner Arbeit findet dieser Mann immer Zeit, mir zu helfen. Er ist unermüdlich. Stundenlang arbeitet er im Observatorium, ohne an Erholung zu denken.
Belopolski steht ihm nicht nach. Außer den astronomischen Arbeiten gehört es zu seinen Obliegenheiten, tagtäglich zugleich mit Kamow hochkomplizierte Berechnungen zur Feststellung unserer Flugbahn und unseres Ortes im Raum auszuführen.
Obwohl die Berechnungen für die gesamte Flugdauer schon auf der Erde vorbereitet wurden, hält Kamow die tägliche „Ortung“, wie er es nennt, für unerläßlich. Die Ergebnisse der Berechnungen werden verglichen, und es ist noch nicht vorgekommen, daß sie voneinander abgewichen wären. Wir legen täglich über zwei Millionen Kilometer zurück. und man begreift, daß der kleinste Fehler uns weit von jenem winzigen Punkt entfernen würde, den der Planet Venus, die „Schwester der Erde“, die ihr an Umfang und Masse fast gleichkommt, in diesem gewaltigen Raum darstellt.
Zu meinen Pflichten zählt auch noch der Wachdienst am Schaltbrett. Dieser Dienst, der ununterbrochen nach einem genauen Plan durchgeführt wird, ist obligatorisch für die ganze Besatzung; aber Kamow und ich suchen in stillschweigendem Einvernehmen die beiden Astronomen davon zu befreien, denn sie haben ohnehin mehr als genug zu tun. Die Aufgaben des Wachhabenden sind nicht schwer.
Er muß dafür sorgen, daß keine Seite des Schiffes überhitzt wird. Um dies zu verhindern, läßt er es sich um seine Längsachse drehen, damit die Sonnenstrahlen seine Außenfläche gleichmäßig erwärmen. Das geschieht mittels einer massiven Scheibe von zwei Meter Durchmesser, die durch einen Elektromotor angetrieben wird. Diese schnell rotierende Scheibe bewirkt, daß sich das Schiff langsam dreht.