Als die Sicherheitsleute Scott mit einem Ruck von Nicholas Rowe wegrissen, steckte der Bleistift bis zum Radiergummi in der Kehle des Alten. Aus dem Loch schoss ein erstaunlich großer, grellroter Strahl Blut, bespritzte Batemans makellosen, grauen Anzug und die teuren, italienischen Schuhe und befleckte sein kreidebleiches Gesicht
Einen Augenblick lang blieben alle im Zimmer Versammelten schweigend und wie versteinert an Ort und Stelle stehen: Scott, Vince Bateman, Jane Copeland, die drei Sicherheitsleute und die beiden jungen Krankenpfleger.
Gleich darauf begann der Alte laut zu lachen; es war ein schrilles, trockenes Kichern, das in manischen Zyklen kam und ging und so klang, als dringe es direkt aus dem Schlund der Hölle. Während er lachte und aus seinem Hals Blut schoss, gab sich Vince Bateman keine Mühe, aus dem Weg zu treten. Der Alte lachte und lachte, und das Blut besudelte sein Klemmbrett, das böse Instrument seiner teuflischen Rache. Er lachte und lachte, während das Leben aus ihm heraussickerte und auf den Boden tropfte.
Und plötzlich drang neben seinem Lachen, wie ein weit entferntes Echo, auch das helle Lachen eines Kindes durchs Zimmer. Scott hörte es und wusste, dass es auch alle anderen hörten. Aber er merkte, dass sie es ebenso schnell und erfolgreich wieder verdrängten, wie er selbst es mit der Wahrheit getan hatte.
Nach und nach erstarb das Lachen.
Der Zeichner sackte im Rollstuhl nach vorn. Die Leinengurte verhinderten, dass er auf den Fußboden voller Blutpfützen kippte.
Mit gespreizten Ellbogen schnellte Scott wie ein heranstürmender Linienrichter zur Tür. Und er hätte sie auch fast erreicht, da die anderen immer noch völlig gebannt dastanden.
Doch dann brüllte Bateman: »Halten Sie ihn auf!« Und fünf Männer kamen gemeinsam auf Scott zu, schlossen wie Kampfhunde einen immer engeren Kreis um ihn, in den Augen seltsame Scheu.
Dann fielen sie über ihn her, packten seinen ganzen Körper. Ein riesiger Unterarm legte sich um seinen Hals und schnürte ihm die Luft ab. Scott biss so lange zu, bis er Blut schmeckte und merkte, wie der Arm weggezogen wurde. Irgendjemand schrie vor Zorn und Schmerzen schrill auf. Gleich darauf griffen andere Arme zu und rangen ihn zu Boden. Eine Faust grub sich so in sein Brustbein, dass seine Lungenflügel zusammenfielen und ihm schwarz vor Augen wurde. Jetzt war der Krankenpfleger, den er gebissen hatte, wieder über ihm. Seine kräftigen Arme nahmen Scotts Oberschenkel in die Zange und hoben ihn hoch, stemmten ihn in die Luft
Die Nadel, die in seine Hüfte stach, spürte er kaum.
Durchströmt von reiner vulkanischer Energie wirbelte Scott Bowman herum, trat zu, wand sich und schlug mit den Armen um sich, bis er frei war. Mit einer einzigen flinken Bewegung sprang er über das Bett und durch die offene Tür. Aber noch während er den Gang hinunter und ins Schwesternzimmer taumelte, dessen Tür er hinter sich abschloss, begann die Droge zu wirken. Die Wählscheibe des Telefons schien sich zu verzerren und durchzuhängen, wie das Zifferblatt einer Dali-Uhr, und der voll gestopfte, kleine Raum wie Toffee-Masse um ihn herumzuwabern. Er schüttelte den Kopf, um ihn wieder klar zu bekommen, fand die Nummer, die er brauchte, und rief das Krankenhaus für Allgemeinmedizin in Danvers an.
»Geben Sie mir Station ...«, sagte er noch, ehe irgendjemand antwortete. Dann brach er zusammen. Mit leisem, ' dumpfen Knall schlug seine Stirn auf der Mappe auf, die auf dem Schreibtisch lag, aber niemand hörte es.
EPILOG
Maria Flasetto hielt mit ihrem Karren vor Zimmer 117 an und murmelte in ihrer italienischen Muttersprache ein Gebet. Sie hatte vor ihrer Schicht von dem Mord gehört, durch den Buschfunk, und da schon war ihr klar gewesen, dass man die Beseitigung dieser Schweinerei letztendlich ihr aufhalsen wurde. Maria war Putzfrau. Sie übernahm regelmäßig die Nachtschicht, damit sie ihren Tagesjob an der High-School behalten konnte. Und Zimmer 117 lag in ihrem Abschnitt des Hauptganges.
Sie nahm all ihren Mut zusammen und rollte den Karren ins Zimmer. Der Geruch fiel ihr als Erstes auf. Drüben in Italien hatte ihr Vater im Schlachthaus des Dorfes gearbeitet. Derselbe Geruch hatte in seiner Kleidung gehangen, wenn er abends nach Hause gekommen war. Als Mädchen hatte sich Maria ausgemalt, wie die Tiere, die ihr Vater schlachtete, mit letzter Kraft diesen Gestank produzierten, um sich gegen das gnadenlose Beil zu wehren. Eigentlich war es ein Gemisch verschiedener Gerüche: Es stank nach Urin, Gedärmen, leicht säuerlich nach Blut und noch nach etwas anderem, das nichts mit den Eingeweiden zu tun hatte, aber sehr alt roch.
Als Nächstes bemerkte sie das Blut. Während sie ihre Augen so weit aufriss, dass sie rund wie Porzellantassen wurden, wäre sie beinahe ohnmächtig geworden. Hinten in ihrer Kehle sammelte sich Galle, angeekelt stöhnte sie leise auf.
So viel Blut... Noch nie im Leben hatte sie so viel Blut gesehen.