Scott klatschte ihm mit der Rückseite der Hand voll ins Gesicht und hob schon den Arm, um erneut zuzuschlagen, als ihn etwas am Handgelenk packte. Er befreite sich aus der Umklammerung, wirbelte herum - und sah sich Jane Copeland, der Pflegedienstleiterin, gegenüber.
»Doktor Bowman!«, brüllte sie. »Sind Sie wahnsinnig geworden?«
»Raus!«, bellte Scott. »Sofort raus!« Er ging wie eine Dampfwalze auf sie los.'
Copeland fuhr zurück. »Was geht hier vor, Doktor? Mein Gott, er ist doch nur ein alter Mann ...«
»Raus!«, wiederholte Scott und ballte die Fäuste. »Er hat meine Frau umgebracht.« Mit einem Teil seines Verstandes erkannte er, wie verrückt das klingen musste, aber das machte ihm jetzt nichts mehr aus. »Er hat meine Frau umgebracht, und jetzt will er auch noch meine Tochter töten.«
»Waaas?« Die Pflegedienstleiterin stolperte durch die Tür auf den Gang. »Ich hole jetzt Sicherheitsleute, verdammt noch mal. Lassen Sie den alten Mann in Ru...«
Die zuschlagende Tür schnitt ihr die letzten Worte ab. Scott sperrte ab und zog das Bett als Barrikade vor den Eingang. Als er sich wieder dem Alten zuwandte, merkte er, dass seine Beine so weich wie Gummi waren.
Der Zeichner stierte vor sich hin, während mit Blut vermischter Speichel aus seinem Mund sickerte und der Bleistift in seiner Hand Schwindel erregend schnell über die Seite flog.
Mit bedrohlich gebleckten Zähnen torkelte Scott vorwärts, um nachzusehen, was der Alte zeichnete - und fiel wie ein schlaffer Sack zu Boden, denn seine Beine gehorchten ihm nicht mehr. Als sein Kinn auf die Fliesen schlug, begann die alte Wunde erneut zu bluten.
Jetzt gab es keinen Zweifel mehr: Der Alte grinste tatsächlich.
Nach und nach zog sich Scott bis zu dem widerlichen Kerl im Rollstuhl vor. Mittlerweile bewegte sich der Bleistift mit unfassbarer Geschwindigkeit. Und das klang wie das weit entfernte Flüstern von Verdammten. »Was zeichnen Sie? Warum sagen Sie nichts?« Das heimtückische Flüstern hörte keinen Moment auf. »Es war ein Unfall. Wir waren doch nur unreife Jungs ... und hatten furchtbare Angst. Wir haben doch nicht absichtlich ...«
Wie irgendein unheimlicher, Furcht erregender Despot hielt Nicholas Rowe, an seinen Rollstuhl gebunden, inne und starrte in Scotts vom Wahnsinn gezeichnete Augen. Und einen schrecklichen Augenblick lang hatte Scott das sichere Gefühl, dass der Alte reden würde. Stattdessen zog er ein einzelnes Blatt aus dem Klemmbrett und ließ es auf den Boden fallen. Es landete vor Scotts Augen.
Es enthielt mehrere Cartoons: Ein alter Mann lag auf dem Rücken, auf einer Bahre. Sein im Sterben aufgerissener zahnloser Mund stand offen. Ein wohlbeleibter Arzt in weißem Laborkittel beugte sich über ihn, um ihm an der Brust die Saugnäpfe für die Elektroden anzulegen, denn sein Herz sollte durch Stromstöße wieder zum Schlagen gebracht werden. Auf dem letzten Cartoon war zu sehen, wie es einen Kurzschluss gab, zwei wie in einem Comic gezeichnete Stichflammen aus den Elektroden schossen und der Arzt durch den Stromschlag getötet wurde.
Brian Horner.
Ein weiteres Blatt, dessen Skizzen jedes grausame Detail zeigten, flatterte zu Boden.
Jake Laking.
Jake Laking, wie er ein Repetiergewehr vom Ständer holte und mit nach oben nahm, wo seine Familie beim Fernsehen saß. Wie er es zuerst auf seine Frau, dann auf seine Kinder und zuletzt auf sich selbst richtete und jedes Mal abdrückte.
Schließlich schwebte das aus dem Messingrahmen gerissene Familienfoto aus Scotts Büro auf den Boden, langsam und in großen Bögen, wie Herbstlaub. Mit Blut war ein großes X darüber geschmiert.
Wieder begann der Bleistift Unheil verkündend zu kratzen. Scott, der inzwischen wie ein Kind schluchzte, kroch auf die Füße des Alten zu. »Hören Sie auf«, flehte er unter Tränen. »Hören Sie auf... Sie kann doch gar nichts dafür, kapieren Sie das denn nicht? Bitte!« Er zog sich auf die Knie hoch und benutzte dabei die Speichen des Rollstuhls als Stütze.
Langsam und wohl überlegt neigte der Alte das Klemmbrett Scott zu, so dass er die gerade entstehenden Zeichnungen flüchtig sehen konnte. Dabei hielt der Bleistift keinen Augenblick inne; mit übermenschlicher Schnelligkeit sauste er über das Blatt, schuf die Umrisse mit derartiger Geschwindigkeit, dass sie sich fast zu bewegen schienen.
Ein Kind in einem Bett.
Scott befahl seinen Händen, sich zu rühren, nach dem Klemmbrett zu greifen, es zu schnappen und auf seine Knie zu legen, damit er diese todbringenden Zeichnungen an sich nehmen und zu unzähligen dicken Schneeflocken zerreißen konnte. Aber seine Hände gehorchten ihm nicht. Sie waren kalt, taub und kamen ihm so vor, als gehörten sie ihm gar nicht.