Scott klopfte auf den Rand der Couch. »Komm und setz dich zu mir«, sagte er liebevoll. Kath kam seinem Wunsch zwar nach, reagierte jedoch eher mechanisch und wie benommen. Er zog sie nah zu sich heran und küsste sie auf die Wange. Ihre Haut fühlte sich fiebrig an.
»Mir fehlt nichts, Kleines«, sagte er. Kaths Unterlippe zitterte, als sie versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken. »Mir ist nichts passiert Und Bob hatte Recht, weißt du. Ich muss dir dafür danken.« Das Zittern verwandelte sich in den Anflug eines Lächelns. Aber eine einsame Träne trat ihr doch aus den Augen, rollte die Wange hinunter und fiel auf Scotts Handrücken.
»Geht's dir wirklich gut, Daddy?«, fragte Kath, während ihre Augen in Tränen schwammen.
»So gut wie eh und je.«
Kath umarmte ihn so abrupt und heftig, dass es ihm wehtat, und ließ den Tränen mit heftigem Schluchzen freien Lauf. Immer noch zitternd, tat Scott sein Bestes, um sie zu trösten.
Krista hatte sich eine von Scotts Windjacken wie ein Cape um die Schultern gelegt und ging barfuß den Hügel zum See hinunter, wobei sie darauf achtete, auf dem nassen Gras nicht auszurutschen. Der Himmel, der inzwischen so weit aufgeklart war, dass die Sonne hier und da durch die Wolkendecke blinzelte, verfinsterte sich schon wieder, und es lag etwas Unruhiges in der Luft. Als Krista den Anlegesteg betrat, hörte sie das Platschen und Gluckern des Wassers unter ihren Füßen und zog die Jacke enger um sich. Dieser verrückte Morgen hatte ihr Denkvermögen vorübergehend lahm gelegt, so dass sie eine Weile brauchte, bis ihr wieder einfiel, wozu sie eigentlich hergekommen war.
Während sie auf der Suche nach der Minolta ihre Runden über den Steg machte, tauchten in ihrem Inneren plötzlich ungelöste Fragen auf.
Krista hatte fast schon aufgegeben, als sie die Kamera plötzlich doch noch entdeckte. Sie hatte sich in den zum Teil unter Wasser liegenden Asten einer Trauerweide verfangen, die am Rande ihres Grundstücks stand. Wie die Fragen in ihrem Kopf tauchte der Fotoapparat unvermittelt auf, um gleich wieder zu versinken. Sie musste bis zu den Knien ins Wasser waten, um ihn herauszuholen. Ihre Jeans wurde dabei ganz nass, aber das machte ihr nichts aus. Sie hob die Kamera aus dem Wasser und verstaute sie sofort in irgendeiner Tasche, da es sie nervte, wie das flache, gelbe Gehäuse im Zwielicht des heraufziehenden Gewitters funkelte.
Als Krista vom See zurückkehrte, stellte sie fest, dass ihr Mann und ihre Tochter beide auf dem Sofa eingeschlafen waren. Es sollte noch eine gute Stunde dauern, bis sie wieder aufwachten. Zu diesem Zeitpunkt erreichte der Sturm, der jetzt wesentlich heftiger als am Morgen tobte, seinen Höhepunkt. Ein ohrenbetäubender Donnerschlag weckte Vater und Tochter, die wie aus einem Mund erschrocken aufschrien.
7
»Wen willst du anrufen?«
Sie waren bereits zu Bett gegangen, obwohl es erst 22 Uhr 30 war. Scott lehnte an der Kopfstütze des Bettes, Krista hatte sich dem Telefon zugewandt und hielt den Hörer in der Hand. Kath war in ihrem Zimmer und schlief. Ehe Scott unter die Bettdecke gekrochen war, hatte er einige Valium-Tabletten eingenommen. Ihm war klar, dass das Valium nicht viel gegen die Schmerzen ausrichten würde, aber er hoffte, es würde ihm wenigstens das Einschlafen erleichtern. Bei dem, was sein Körper gerade durchmachte, half momentan nur Ruhe.
»Caroline«, erwiderte Krista. »Ich hab's heute Nachmittag schon mal versucht, aber sie hat nicht abgenommen. Ich wollte ihr nur Bescheid sagen, dass Kath und ich an diesem Wochenende doch nicht zu ihr nach Boston kommen.«
»Warum nicht?«, wollte Scott wissen, aber er kannte die Antwort bereits.
»Du weißt genau, warum. Ich kann dich doch in diesem Zustand nicht alleine lassen.«
»Hör zu, Kris. Leg wieder auf und lass uns für eine Minute darüber reden, ja?« Sie gab nach. »Es gibt nicht den geringsten Grund, warum du nicht fahren solltest. Mir geht's jetzt wieder gut. Ich werde zwar noch ein paar Tage Schmerzen haben, aber das ist auch alles. Am Montag bitte ich Steve Franklin, sich mal meine Hüfte anzusehen ...«
»Du wirst am Montag ganz bestimmt nicht zur Arbeit fahren«, sagte Krista. »Herrje, Bowman, ich kann's einfach nicht fassen. Da liegst du hier, wärst fast ertrunken und denkst schon wieder an die Arbeit? Ich dachte, wenn du überhaupt irgendwas unternimmst, dann machst du die Woche frei und kommst am Dienstag vielleicht nach Boston nach. Mit dem Flieger. Natürlich nur, wenn es dir bis dahin wieder besser geht.«
Daher also wehte der Wind!