Und als das Blitzlicht durch den Dunstschleier drang, sah er durch den Sucher, dass es nicht seine Tochter war, die er fotografierte, sondern irgendetwas anderes. Etwas mit blutleerer weißer Haut, silbernem Haar... und hasserfüllten roten Augen. Er kannte diese Augen. Sie wirkten wie die eines Tieres, das wie gebannt im grellen Scheinwerferlicht eines näher kommenden Wagens sitzen bleibt.
Als sich der kühle Treibsand bis in seine Nasenlöcher vortastete, ließ er die Kamera fallen. Sie trieb davon, in die graugrüne Masse über seinem Kopf. Da er kaum noch Luft bekam, hob er das Kinn aus dem Morast, der mittlerweile schon in seine Ohren drang.
Kaths Gesicht hatte sich wieder vom Körper gelöst. Jetzt verschwamm es vor seinen Augen, verzerrte sich, fiel auseinander, verspritzte Blut...
Aber es konnte ihm nichts mehr anhaben. Nein. Denn jetzt legte sich der Treibsand auch über seine Augen. Und er ertrank darin, sank tiefer und tiefer und
Scotts Schrei erschreckte Krista so, dass sie selbst aufschrie und davon aufwachte. Als sie ihre Augen aufschlug, stellte sie fest, dass sich Scott bei dem Versuch, sich im Bett hinzuknien, in die Laken verwickelt hatte.
»Scott«, rief sie und griff nach seinem völlig erstarrten Arm. »Scott, was ist los?«
Schweißnass und wie eine Maschine keuchend, öffnete Scott die Augen. Als er die vom Wind aufgebauschten Gardinen, die vertrauten Umrisse des Schlafzimmermobiliars und Krista entdeckte, ließ er sich gegen die Kopfstütze fallen.
Krista zog ihn hinunter, küsste ihn und kuschelte sich in Löffelstellung eng an seinen Rücken. Leise und beruhigend sprach sie auf ihn ein, während draußen der Wind ums Fenster strich.
Ehe er wieder einschlief, bat Scott sie noch, das Fenster zu schließen.
Sie tat es, ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Als sie zurück ins Bett kam, fiel Scott auf, dass die hauchdünnen Gardinen am Fenster jetzt ganz leblos herunterhingen.
Nachdem das Fenster geschlossen war, fühlte er sich wohler. Jetzt konnte er die Wellen nicht mehr hören.
Er sank in tiefen und diesmal traumlosen Schlaf.
Als die Morgendämmerung ihr bleiches Licht über den Himmel ergoss, eilte Krista ins Zimmer ihrer Tochter, um sie zu trösten. Auch Kath hatte schlimme Träume gehabt.
Aber Scott merkte nicht einmal, dass Krista nicht mehr bei ihm war.
8
Nachdem sie Kath beruhigt hatte, ging Krista wieder ins Bett. Eine Stunde lang döste sie und warf sich unruhig hin und her, dann stand sie auf. Obwohl sie so schlecht geschlafen hatte, konnte sie es im Bett nicht länger aushalten.
Im trüben Licht des anbrechenden Morgens blieb sie nackt im Zimmer stehen und sah lange auf ihren Mann herunter. Er lag auf der Seite, hatte die Knie angezogen, einen Arm locker um sein Kopfkissen geschlungen und atmete tief. Seine Mundwinkel zuckten wie die eines scheuenden Pferdes. Krista fiel auf, dass seine Augen unter den Lidern unruhig hin und her huschten. Sie fragte sich, was er wohl träume.
Auf einen Schlag wurde ihr klar, dass sie heute Morgen beim Erwachen das Bett auch hätte leer finden können - und jeden Morgen für den Rest ihres Lebens. Noch ein, zwei Minuten dort unten auf dem Seegrund, und sie hätten mit dem Schleppnetz nach dem Leichnam ihres Mannes gesucht, anstatt ihn lebendig an die Oberfläche zu zerren, wo er heftig nach Luft geschnappt und um sich geschlagen hatte.
Bei dem Gedanken bekam Krista eine Gänsehaut, all ihre Härchen stellten sich auf. Sie griff nach ihrem Morgenmantel und streifte ihn über.
Plötzlich wollte sie ihn wecken, plötzlich beunruhigte es sie, dass er so still dalag. Ihre Sorge um ihn war so stark, beängstigend und irrational, dass sie selbst merkte, wie unsinnig sie sich verhielt. Dennoch konnte sie dem Drang, ihn aufzuwecken, in die Arme zu nehmen und seine Stimme zu hören, kaum widerstehen.
Während sie sich vorbeugte, um ihn zu wecken, warf sie einen Blick auf die Digitaluhr am Bett, zögerte kurz und beschloss dann, ihn schlafen zu lassen. Schließlich war es erst Viertel nach sechs.
Als spüre er Kristas innere Unruhe in den tiefen Traumgefilden seines Schlafes, seufzte Scott und drehte sich mitsamt dem Kopfkissen auf den Rücken. Immer noch zitterig, aber erleichtert, überließ Krista ihn dem heilsamen Schlaf.
Sie war nicht überrascht, als sie Kaths Daunendecke zurückgeschlagen und das Bett leer fand. Sie trat ins Zimmer, strich über die Kuhle, die Kaths Körper im Bett hinterlassen hatte, und stellte fest, dass sie bereits ausgekühlt war. Besorgt hastete sie ins Erdgeschoss und suchte ein Zimmer nach dem anderen nach Kath ab.
Aber nirgendwo waren Spuren von ihr zu finden, sie hatte nicht einmal die übliche Schüssel mit Schokoladenflocken gegessen. Langsam, aber sicher, bekam Krista regelrecht Angst. Sie trat auf die Terrasse hinaus und blickte durch den feinen Morgennebel zum See.
Einsam und allein saß Kath draußen auf dem Landesteg; sie wirkte wie irgendeine liebreizende Gestalt auf einem Ölgemälde.